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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19

Unter den in der letzten Zeit beobachteten Protuberanzen befinden sich einige durch ihre Höhe und die Geschwindigkeit des Emporsteigens bemerkenswerte. Eine solche wurde 6. Okt. 1890 bald nach 1 Uhr von Fényi in Kalocsa beobachtet. Ihre Basis reichte auf der südlichen Halbkugel von 30°21′–20°13′ Breite. Anfangs waren dort nur zwei kleine Flammen sichtbar, aber schon um 1 Uhr hatte die Protuberanz 53″ (38,000 km) und um 1 Uhr 49 Min. 327″ (235,000 km) Höhe. Die Bewegung des Aufsteigens war eine beschleunigte bis zur Höhe von 204″ (147,000 km), wo die mittlere Geschwindigkeit 275,5 km in der Sekunde betrug. Wahrscheinlich infolge der schnellen Auflösung in der Höhe nahm die Geschwindigkeit von da ab. Um 1 Uhr 59 Min. begann die Protuberanz zu verschwinden, und wenige Minuten später erblickte man an ihrem Orte nur die gewöhnliche Chromosphäre. Ähnliche merkwürdige Erscheinungen wurden 17. Juni 1891 beobachtet. Um 10 Uhr 16 Min. Pariser Zeit bemerkte Trouvelot in Nizza am Westrande der S. einen 3° umfassenden Fleck, der heller war als die hellsten Fackeln, aber nicht von weißer, sondern von gelblicher Farbe. Einige Minuten später erschien nördlich davon eine schmale Fackel von 5–6° Länge von ähnlicher Färbung, aber etwas weniger hell, an deren innerem Rande einige schwarze Punkte auftraten, wie sie oft am Rande von Fackeln in der Nähe des Sonnenrandes gesehen werden. Nachdem Trouvelot diese Erscheinung 2–3 Minuten lang beobachtet hatte, brachte er das Spektroskop am Fernrohr an, und nun erblickte er in 286–292° vom höchsten Punkte der S. entfernt ein vulkanisches Zentrum, von dem außerordentlich helle Bomben bis zu 2–3′ (86,000–130,000 km) Höhe über die Chromosphäre aufstiegen, wo sie gleich leuchtenden Kugeln schweben blieben; der helle Fleck war inzwischen verschwunden. Die aufsteigenden Kugeln gingen später in zahlreiche glänzende Fäden über. Um 10 Uhr 24 Min. erreichten die längsten Strahlen eine Höhe von 5′24″ (234,000 km). Mittags war die Eruption weniger heftig, aber am Vormittag des 18. Juni wurden wieder Ausbrüche beobachtet, deren Heftigkeit bald zu-, bald abnahm; bei zunehmender Thätigkeit stiegen die Strahlen parallel empor, um in der Höhe umzubiegen und dann wieder zur S. zurückzukehren. Um 2 Uhr 25 Min. nachmittags war alles vorüber. Fényi in Kalocsa hat diese Eruptionen am Nachmittag des 17. Juni beobachtet. Um 5 Uhr 30 Min. Pariser Zeit erblickte er in 21° heliographischer Breite eine in der Entwickelung befindliche Fleckengruppe im Begriff, in 282° den westlichen Sonnenrand zu überschreiten, und in dieser Gegend bildete eine glänzende, 18″ (12,000 km) hohe Erhöhung den Sitz einer Eruption von außergewöhnlicher Heftigkeit. Nach 4 Uhr 36 Min. erreichten die von dort aufgestiegenen Massen die Höhe von 109″ (78,000 km). Einige Minuten vor 6 Uhr erhob sich dort eine Masse von 111″ (80,000 km) vertikaler Ausdehnung mit einer Geschwindigkeit, welche Fényi im Mittel zu 485 km in der Sekunde schätzt (gemessen wurden Geschwindigkeiten von 797 und 890 km), bis zu der Höhe von 256,9″ (242,000 km) empor, und aus der Verschiebung der Spektrallinien gegen das blaue Ende des Spektrums fand Fényi für die Bewegung der Protuberanzmassen in der Richtung zur Erde die Werte von 337 km (bei einer Gipfelhöhe von 182,7″ oder 132,000 km) und 449 km (Gipfelhöhe 256,9″) in der Sekunde. Außerdem besaß diese Masse auch in meridionaler Richtung eine Geschwindigkeit, welche Fényi, allerdings sehr unsicher, auf etwa 100 km in der Sekunde schätzt. Ohne Berücksichtigung dieser letztern ergibt sich durch Vereinigung der beiden ersten eine Resultante von 1014 km in der Sekunde. Aus der Größe dieses Wertes zieht Fényi den Schluß, daß Teile der Protuberanzen in den Weltraum hinausgeschleudert werden, die nicht wieder zur S. zurückkehren. Diese großen Geschwindigkeiten können aber nicht bloß das Ergebnis von Atombewegungen bei der Expansion von Gasen sein, die der S. entströmen, vielmehr müssen wir zur Erklärung andre Kräfte, allem Anschein nach elektrische, zu Hilfe nehmen. Auf solche Kräfte glaubt auch Fizeau die Erscheinung der Protuberanzen zurückführen zu müssen, weil der Wasserstoff beim Erhitzen oder Verbrennen weder im verdünnten noch im verdichteten Zustande die charakteristischen Linien zeigt, welche wir im Spektrum der Protuberanzen erblicken, welch letztere besonders durch das Vorherrschen der Linie C rosenrot gefärbt sind; diese Linien erscheinen nur unterm Einfluß der Elektrizität. Damit im Einklang sind auch die raschen Formänderungen in den Protuberanzen, die plötzlichen Wechsel des Glanzes, das bandartige, wellenförmige Aussehen, die Absonderung gut begrenzter, von der S. losgetrennter Teile. Alles dieses beobachtet man in ähnlicher Weise auch an den Polarlichtern. Bei den Bewegungen der Lichterscheinungen dürfen wir aber weder hier noch bei den Protuberanzen an eine wirkliche Fortführung von materiellen Teilen denken, wir haben es vielmehr nach Fizeaus Ansicht, die hier wesentlich von der Fényis abweicht, lediglich mit einer allmählichen Fortpflanzung von elektrischen Lichterscheinungen in Gasmassen (Wasserstoff) zu thun, die übrigens ihre eignen, ganz selbständigen Bewegungen haben können. Vielleicht verbreiten über diesen Punkt einmal nach ihrem Abschluß die Untersuchungen ein neues Licht, welche Goldstein in Berlin unternommen hat. Die bisherigen Ergebnisse derselben und gewisse von Herz gewonnene Resultate drängen nämlich zu dem Schlusse, daß die Lichterscheinungen der elektrischen Entladung nicht notwendig Träger der Entladung selbst, sondern nur ein durch die Entladung ausgelöstes Phänomen sind, das sich den bisher schon bekannten Agenzien neu zur Seite stellt. Sollte sich diese Vermutung bestätigen, so brauchten auch kosmische Phänomene, die uns unter den leuchtenden Erscheinungsformen der elektrischen Entladung entgegentreten, nicht notwendig durch elektrische Prozesse bedingt zu sein. Zu den Beobachtungen der großen Protuberanz vom 17. Juni durch Fényi ist noch zu bemerken, daß letzterer am 1. Juli, als dieselbe Stelle der S. wieder am Ostrande erschien, dort wieder lebhafte Thätigkeit und ein Protuberanz von mäßiger Höhe bemerkt hat. Es scheint also dort längere Zeit hindurch ein Herd eruptiver Thätigkeit bestanden zu haben.

Einen ähnlichen gelben Fleck, heller als die gleichzeitig auftretenden Fackeln, wie ihn Trouvelot 17. Juni bemerkt, hat auch in Berlin Maas am rechten Rande der S. wahrgenommen, als er 2. Aug. 1891 um 5 Uhr 20 Min. nachmittags das Bild der S. bei 90facher Vergrößerung auf einen weißen Schirm projizierte. Bei Anwendung 180facher Vergrößerung zeigte sich derselbe zusammengesetzt aus einer großen Anzahl von hellen gelben Linien und Punkten, welche gleichmäßig hell blieben, aber durch Veränderung ihrer gegenseitigen Lage bedeutende Schwankungen in der Gestalt und Helligkeit des Fleckes verursachten. Am 3. Aug. gegen 5 Uhr waren an derselben Stelle nur noch Fackeln sichtbar, auch schien die

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 19. Bibliographisches Institut, Leipzig 1892, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b19_s0862.jpg&oldid=- (Version vom 20.6.2022)