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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1

und unter Kirchenzucht Stehenden ausgeschlossen blieben (s. Sakrament). Früh schon wurde nach Analogie jüdischer und heidnischer Opfermahlzeiten der Opferbegriff auf das A. angewendet und solches begründet mit dem Opfertod Christi. Dies geschah zuerst allerdings in durchaus schwankender, meist allegorisierender Weise. Ursprünglich bezeichnete das Wort Opfer (oblatio) sogar bloß die Darreichung der Bedürfnisse der Feier, d. h. der Elemente (Brot und Wein), durch die Gemeinde; sofort aber wurden diese Elemente vom Bischof durch ein Dankgebet abermals dargebracht oder geweiht, u. so hieß denn bald das ganze A. ebenso Dankgebet (eucharistia) wie Opfer (thysia, sacrificium). Schon im 4. Jahrh. bezeichnete man als dieses Opfer speziell den eucharistischen, d. h. im A. gegenwärtig gedachten, wahrhaftigen, Leib Christi.

Je höher in der Folge die Vorstellungen von dem Gewicht und Erfolg des priesterlichen Handelns im Kultus stiegen, desto unwillkürlicher und unvermeidlicher setzten sich die mehr oder weniger symbolischen Anschauungen um in den Glauben an geheimnisvolle, aber reale Wirkungen, die von dem eucharistischen Leib und Blut Christi ausgehen. Die beiden Abendmahlsstreitigkeiten des Mittelalters, die im 9. (gegen Ratramnus) und im 11. Jahrh. (gegen Berengar von Tours) spielten, hatten 1215 die feierliche Proklamierung des Dogmas von der Verwandlung der Elemente (Brot und Wein) in Leib und Blut Christi (Transsubstantiation) zum Resultat. Gleichzeitig trat die sakramentliche Bedeutung des Abendmahls hinter der sakrifiziellen, d. h. die Kommunion hinter der Messe (s. d.), zurück. Die Laien kommunizierten meist nur noch zu Ostern, und in den spätern Jahrhunderten des Mittelalters wurde ihnen auch der Kelch entzogen. Diesen forderten die Hussiten und die Reformatoren mit Erfolg zurück, und die letztern verwarfen auch die Transsubstantiation, ohne es indessen zur Übereinstimmung in den positiven Anschauungen zu bringen. Nur Zwingli ging bewußt und konsequent bis zu dem Gedächtnismahl zurück und gestaltete die Kommunion trotz Beibehaltung einiger an die Messe erinnernder liturgischer Stücke zu einer Gemeinschaftsfeier um; überall, wo der reformierte Typus zum unverkümmerten Ausdruck gelangte, nahmen auch die Teilhaber an der Feier die Elemente selbst in die Hand. Dagegen charakterisiert sich Luthers A., das er als ein wesentliches Glied eines vollständigen Gottesdienstes betrachtete, als geheimnisvolle Austeilung überirdischer Gnadengüter schon dadurch, daß der Geistliche die Elemente jedem einzelnen zum Altar hinzutretenden Gast unter steter Wiederholung einer die Gegenwart des wahrhaftigen Leibes Christi bezeugenden Distributions- oder Spendeformel darreicht. Schon von seiner mönchischen Vergangenheit her haftete tief in ihm das Bedürfnis nach einem mündlichen Genuß des wahren Leibes und Bluts Christi, welche himmlischen Dinge der Konkordienformel gemäß kraft der Einsetzungsworte in, mit und unter den Elementen zum Genuß vorhanden sind und Gottlosen wie Frommen gespendet werden. Calvin nahm eine Mittelstellung ein, indem er die verklärte Leiblichkeit vom Himmel herab in geheimnisvoller Weise auf die gläubigen Abendmahlsgenossen einwirken und von ihnen geistlich genossen werden ließ (s. Ubiquität). Während seit den Zeiten der Aufklärung selbst supernaturalistische Lutheraner mehr in der Weise Calvins lehrten, hat der Rationalismus die Betrachtungsweise Zwinglis wieder aufgenommen, und wo die Union (s. d.) und mit ihr Abendmahlsgemeinschaft zwischen gebornen Lutheranern und Reformierten eingeführt ward, da ging man von den Grundsätzen aus, daß einmal die im A. statthabende Vereinigung mit Christus und die Aneignung der in ihr beschlossenen Heilsgüter eine Thatsache seien, welche von den bestehenden Unterschieden der Vorstellung über den Hergang dabei nicht berührt werde, und daß zweitens eine Hauptbedeutung der Feier in ihrem sozialen Charakter beruhe. „Was die Familie ohne das gemeinsame Familienmahl ist, das ist die Gemeinde ohne das gemeinsame A.“ Vgl. D. Schulz, Die Lehre vom A. (2. Aufl., Leipz. 1831); Ebrard (reformiert), Das Dogma vom A. und seine Geschichte (Frankf. 1845); Kahnis (lutherisch), Die Lehre vom A. (Leipz. 1851); Rückert, Das A. (das. 1856).

Wegen seiner großen geschichtlichen und rituellen Bedeutung ist das A. auch eins der wichtigsten Objekte der christlichen Kunstgeschichte geworden. Erst reihte man seine Darstellung einfach in die Cyklen der Heils- und Passionsgeschichte ein; dann, nachdem das Sakrament in der höchsten Steigerung des kirchlichen Begriffs anerkannt war, begann man es in großartiger Selbständigkeit auszuführen, indem man von zwei ganz verschiedenen Momenten ausging, entweder von der Einsetzung des Sakraments (so Signorelli im Chor des Doms zu Orvieto, wo aber der übliche Tisch entfernt ist und Christus durch die prächtig bewegte Gruppe der Jünger schreitet) oder von dem Augenblick, wo Christus die Gewißheit des Verrats ausspricht. Letzterer Moment konnte wieder nach den Worten der Schrift teils so gefaßt werden, daß sich durch gleichzeitiges Ergreifen des einzutauchenden Bissens der Verräter kenntlich machte (so Andrea del Sarto im Kloster San Salvi), teils in der Weise, daß das Wort Christi allein die geistige und physische Bewegung hervorruft (s. Leonardo da Vinci). Hierbei luden die reichen psychologischen Motive (besonders der Charakter des Judas Ischariot) zu individualisierender Behandlung ein. Als Bahnbrecher erscheinen nach den mancherlei Versuchen des Mittelalters Duccio di Buoninsegna mit seinem Bild im Dom zu Siena und Giotto mit seinem Fresko in der Kirche der Madonna dell’ Arena zu Padua, beide zu Anfang des 14. Jahrh.; sie folgen in ihrer schon ziemlich bewegten Darstellung dem biblischen Bericht. Dagegen hat Fra Angelico da Fiesole (im 15. Jahrh.) in dem großen Bilde des Klosters San Marco zu Florenz das A. einfach als eine kirchliche Kommunion aufgefaßt, an welcher er auch die Jungfrau Maria teilnehmen laßt. Eine Lieblingsdarstellung ward das A. für die Refektorien der Klöster, und für diesen Zweck hat eben Leonardo da Vinci das überhaupt bedeutendste Bild des Abendmahls gegen Ende des 15. Jahrh. gemalt in dem Dominikanerkloster der Madonna delle Grazie zu Mailand. Das Wandbild ist mannigfach zerstört und verblaßt, aber in seiner Hoheit noch kenntlich und wirksam: die Ankündigung des Verrats durch Judas ist mit dramatischer Gewalt dargestellt. Unter den Deutschen haben Dürer, Cranach der ältere, Holbein der jüngere, in neuerer Zeit Overbeck, Schnorr, Cornelius (Glaubensschild Friedrich Wilhelms IV.), Heinr. Heß, Wach, Pfannschmidt, E. v. Gebhardt Darstellungen des Abendmahls geliefert. Rubens malte das A. für die Romualdskirche in Mecheln und Nicolas Poussin in seiner Darstellung der sieben Sakramente. Vgl. Riegel, Über die Darstellung des Abendmahls, besonders in der toscanischen Kunst (Hannov. 1869); Dobbert, Die Darstellung des Abendmahls durch die byzantinische Kunst (Leipz. 1872).

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b1_s0029.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2021)