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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1

Bildern im kindlichen Gemüt abspiegeln und richtige Grundlagen für spätere Begriffe und Urteile werden. Wirkliche, reale Gegenstände oder auch passend gewählte Bilder werden den Sinnen der Kleinen vorgeführt, sie werden angeschaut und allseitig betrachtet. Hiermit werden Sprechübungen verbunden, damit das Kind auch lerne, seine Vorstellungen durch Worte auszudrücken. Was angeschaut worden ist, wird besprochen. Der Lehrer lenkt die Aufmerksamkeit der Kinder durch Fragen, und die Schüler lernen in bestimmter, scharfer Weise, in einzelnen Sätzen sich aussprechen. Bezeichnungen, welche die Kinder noch nicht kennen, werden ihnen gesagt, aber stets, nachdem sie die lebendige, unmittelbare Anschauung des Dinges und seiner Merkmale erlangt haben. Mancherlei Anwendungen auch auf das innere Leben, Würzung des Unterrichts durch kleine Sprüche, Lieder etc. ergeben sich dabei für den gemütvollen Lehrer von selbst. Das diesem Unterricht zu Grunde liegende Prinzip führt auf Bacon zurück, welcher, gegenüber der Methode der Scholastiker und der Philologen des 15. und 16. Jahrh. (Verbalisten), die sinnliche Anschauung als das Fundament des wissenschaftlichen Verfahrens (Realismus) bezeichnete. Dieses wissenschaftliche Prinzip Bacons hat zuerst, unmittelbar durch ihn angeregt, Amos Comenius folgerecht auf den Unterricht angewandt („Nicht mit verbaler Beschreibung, sondern mit realer Anschauung muß man beginnen“; daher sein berühmter „Orbis pictus“). Auch die Halleschen und Berliner Realschulen (Semler, Hecker) pflegten Anschauung und anschaulichen Unterricht. Weiter gingen Rousseau, Basedow und namentlich Pestalozzi, welcher den Denkübungen der Philanthropisten die Anschauung zur Basis und das Angeschaute als Inhalt gab. So entstand ein besonderer „A.“ als propädeutischer Vorkursus für die Schule überhaupt. Dieser Unterrichtszweig hat seine eigne Geschichte und eine umfangreiche Litteratur (Pestalozzis „Buch der Mütter“, v. Türk, Graßmann, Harnisch, Denzel, Graser, Diesterweg, Curtmann, Völter etc.). Es ist leicht zu erkennen, daß eine einseitige Pflege dieses Unterrichtsgegenstandes, die ihn von den übrigen Unterrichtszweigen ablöst, zu neuen Irrungen führen mußte, daß man, während man die frühere abstrakte Weise beseitigen wollte, selbst wieder in die Abstraktion verfiel. Dem gegenüber beschränkt sich die „Allgemeine Verfügung“ des preußischen Ministers Falk vom 15. Okt. 1872, hierin mit den Stiehlschen Regulativen einig, auf die Forderung, daß Übungen im mündlichen Ausdruck den Schreib- und Leseunterricht vorbereiten und ihn auf seinen weitern Stufen begleiten sollen, und zwar anfangs von einfachen Gegenständen, demnächst von Gruppenbildern und endlich von den Sprachstücken des Lesebuchs ausgehend, und daß alle Unterrichtszweige von der Anschauung als ihrem gemeinsamen Stamm ausgehen sollen. Gesonderten Unterricht in der Anschauung erfordern sie nicht. Doch entscheidet die Praxis in Landschulen, namentlich in ärmlichen Gegenden, oder wo im Haus abweichende Mundart etc. vorwaltet, kurz, wo die Kinder sehr spracharm in die Schule eintreten, meist für gesonderten A. – Inneres Anschauungsvermögen ist die Fähigkeit der menschlichen Seele, auf Grund früherer Sinnesempfindungen und unmittelbarer Erfahrung sich selbständig deutliche, lebensvolle Vorstellungen von den Gegenständen und ihren Verhältnissen zu einander zu bilden.

Anschießen, ein Gewehr durch Schießen auf eine Scheibe prüfen. Bei Büchsen wird der Schuß durch Klopfen des Korns und des Visiers in der Weise reguliert, daß man das Korn mit dem Schuß, das Visier gegen den Schuß rückt. Schießt also eine Büchse rechts, so muß das Korn nach rechts oder das Visier nach links verschoben werden. Bei zu hohem Schuß muß das Visier, bei zu niedrigem (kurzem) Schuß dagegen das Korn abgefeilt werden. Bei Schrotgewehren (Flinten) wird durch das A. sowohl das Zusammenhalten der Schrote als die Durchschlagskraft derselben geprüft, um die passende Pulver- und Schrotmenge für die richtige Ladung zu bestimmen. – A. (Anschweißen) heißt auch s. v. w. durch einen Schuß verwunden (s. Anschuß).

Anschirrung, die Art und Weise der Verbindung der Zugtiere mit den Fuhrwerken. Bei Pferden und Maultieren wird vorwiegend das Kumt, ein Halsgurt, oder das Sielengeschirr, ein Brustgurt, verwendet, bei Rindern das Joch, entweder als Doppeljoch für zwei Zugtiere oder als Halbjoch für ein Tier. Die Anlegung des Joches erfolgt am Kopf (Kopfjoch) und zwar je nach der Stellung der Hörner entweder an der Stirn (Stirnjoch), oder am Nacken (Nackenjoch), oder am Hals (Hals- oder Widerristjoch).

Anschlag (Affiche, Plakat), jede öffentlich angeheftete oder angeklebte Bekanntmachung, für deren Druck man sich gewöhnlich großer, auffallender Schriften, sogen. Plakatschriften, häufig auch bunter Farbe und bunten Papiers bedient. Bei dem oft riesigem Umfang derselben werden sie häufig in mehreren Teilen gedruckt und nachträglich zusammengeklebt. Nordamerika und England waren bis jetzt die Pflegstätten solcher, öfters auch illustrierten Riesenplakate, bei denen oft in den Hauptzeilen jeder Buchstabe einzeln gedruckt und angeklebt ist. In Frankreich ist gesetzlich das weiße Papier für die Veröffentlichungen der Verwaltungsbehörden reserviert. Fast überall ist die polizeiliche Genehmigung für die Anschläge nötig, in Rußland muß ihnen dieselbe sogar beigedruckt sein. In Frankreich unterliegen die von Privatpersonen ausgehenden Anschläge der Stempelpflichtigkeit, deren Betrag teils nach dem Format des Papiers, teils nach der Zahl der auf dasselbe gedruckten verschiedenartigen Anzeigen bemessen ist. Im Deutschen Reich (Reichsstrafgesetzbuch § 134) wird das böswillige Abreißen, die Beschädigung oder Verunstaltung amtlicher Anschläge, härter als nach französischem Recht, mit Gefängnis bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 300 Mk. geahndet. – Schon Athen und Rom kannten die Anschläge; man ließ Gesetze und Senatsbeschlüsse in Tafeln von Erz und Marmor eingraben und diese alsdann auf den öffentlichen Plätzen ausstellen. In Rom benutzte man seit dem 15. Jahrh. den „Pasquino“ genannten Statuentorso zu witzigen und satirischen Plakaten, auf die dann der „Marforio“, eine Flußgottstatue bei San Pietro, in entsprechender Weise antwortete. Auch in Frankreich waren die Plakate bereits vor Erfindung der Buchdruckerkunst im Gebrauch, und 1539 schrieb ein zu Villers-Cotterets erlassenes Edikt Franz’ I. nicht nur den Gebrauch derselben für öffentliche Erlasse vor, sondern ordnete auch an, daß man sich fortan hierzu der französischen Sprache und nicht mehr der bisher üblichen lateinischen bedienen solle. Die Benutzung der Anschläge hat in neuerer Zeit ungemein zugenommen; neben den besonders dafür errichteten Säulen (Anschlagsäulen) auf Straßen und Plätzen bedient sich die Reklame sogar transportabler Gestelle etc.

Anschlag, s. v. w. Kostenanschlag, Berechnung des Kostenbedarfs, z. B. eines Bauunternehmens (s. Bauanschlag). Der A. in landwirtschaftlicher

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 615. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b1_s0615.jpg&oldid=- (Version vom 2.11.2021)