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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1

in Aquarell gearbeitet; es wurde Modesache, welcher sich viele Dilettanten bemächtigten. Die der ganzen damaligen Kunstproduktion anhaftende Vorliebe für feine, zierliche Detailausführung, wie sich dieselbe am deutlichsten in den Miniaturporträten in Gouache auf Elfenbein, Seide etc. zeigt, charakterisiert auch die Aquarellmalereien. Sepia und chinesische Tusche spielen eine große Rolle. Goethe erwähnt in seiner „Italienischen Reise“ an mehreren Stellen Kopien nach Ölgemälden alter italienischer Meister, welche von seinen Landsleuten Tischbein, Hackert etc. in Aquarell ausgeführt waren. Diese Kopien suchen die Farbentiefe, die Beleuchtungseffekte der Originale wiederzugeben. Es scheint dies dadurch erreicht worden zu sein, daß die Gemälde vorerst grau in grau untermalt, hierauf mit Aquarellfarben koloriert und in den Schatten besonders der Fleischteile lasiert wurden. Am entwickelungsfähigsten zeigte sich die A. auf dem Gebiet landschaftlicher und architektonischer Darstellungen, welche als selbständige Kunstwerke auftraten.

Die Ausbildung der A. zu ihrer gegenwärtigen Bedeutung erfolgte in England, wo sich unter dem Einfluß talentvoller Künstler eine eigne Schule der A. entwickelte, welche mit der Ölmalerei in Konkurrenz trat und, bis heute blühend, ihrer Manier in ganz Europa fast ausschließliche Geltung verschaffte. Die Anfänge dieser Schule reichen noch ins vorige Jahrhundert, wo Smith (gewöhnlich Warwick-Smith genannt) seine in feinen Konturen mit dem Bleistift ausgeführten Zeichnungen mit einer aus Blau, Rot und Gelb gemischten lichtgrauen Farbe anlegte, damit die Schatten ausarbeitete und dann die so grau in grau vollendete Zeichnung kolorierte. Während so Smith die für das Aquarell verderbliche chinesische Tusche verbannte, blieb er im übrigen der altererbten Manier treu. Erst Turner begann ohne vorhergehende Untermalung die Zeichnung mit Aquarellfarben anzulegen und hierauf die Schatten auszuarbeiten. Er erreichte eine bisher bei Aquarellen noch nie gesehene Tiefe und Farbenglut. Mit ihm rivalisierte Girtin. Die beiden Genannten sind die eigentlichen Begründer der modernen Aquarellmalereitechnik, welche in England vorzugsweise in den beiden Gesellschaften für A. (Society of painters in water-colours und Institute of painters in water-colours) gepflegt wird. Die englischen Aquarellisten wagen sich im Wettstreit mit der Ölmalerei an jedes Genre, beherrschen die Landschaft, das Porträt, Stillleben und selbst große historische Stoffe mit gleicher Virtuosität. Ihre Bilder erreichen oft die Größe von mehreren Quadratfuß. Unter den Landschaftern sind zu nennen: Copley, Fielding, Turner, Callow, Glower, W. Müller, Harding, Landseer, Taylor, Stanley; unter den neuern: Richardson, Roberts, A. W. Hunt u. a. Im Genre glänzen: G. Barrett, T. S. Cooper, Dobson, C. Green, H. Herkomer, J. F. Lewis (orientalisches Genre), F. Walker etc.; in der Historie: J. Gilbert, H. S. Marks, F. Shields, H. Warren u. a. Das Vorzüglichste ist jedoch die Landschaft, für welche sich die A. am besten und ohne Zwang anwenden läßt. Das Aquarell ist da am Platz, wo es sich um Wiedergabe rein koloristischer Effekte handelt; das Körperliche, das Detail liegen nicht in seiner Natur. Die Aquarellfarben eignen sich in hohem Grad für die Wiedergabe der verschiedensten Stimmungen der Atmosphäre für zarte, fliegende Farbentöne. Das Transparente der Luft läßt sich in der Ölmalerei bei weitem nicht so glücklich wiedergeben wie in der A., wo durch die leichten Farbentöne der weiße Papiergrund durchschimmert, während der pastose Farbenauftrag in der Ölmalerei namentlich den Wolken oft einen sehr unangenehmen Schein von Körperlichkeit gibt. Luft und Perspektive sind die besten Seiten einer Aquarelllandschaft, während die Behandlung des Vordergrunds hinter der Öltechnik zurückbleiben muß. Doch wissen die modernen englischen, italienischen und spanischen Aquarellisten auch in der Wiedergabe plastischer Details Erstaunliches zu leisten. Sehr viel tragen zur heutigen Blüte der A. die Verbesserungen in der chemischen Zusammensetzung der Farben, deren Ton sich nicht mehr verändert, und die Bereitung des Papiers bei. Die moderne englische Technik, die nun größtenteils auch auf dem Kontinent sich Geltung verschafft hat, ist im wesentlichen folgende: Nachdem die Zeichnung in dünnen Konturen mit Bleistift auf das Papier (oder die Seide etc.) aufgetragen ist, wird der Hintergrund mit einem breiten, platt gedrückten Pinsel aus Zobel- oder Eichhörnchenhaaren, den man in die sehr wässerige Farbe getaucht, in horizontalen Streifen angelegt. Das Reißbrett oder die Staffelei muß mäßig schief gestellt sein, damit die einzelnen Streifen ineinander verlaufen. Wolken werden entweder ausgespart (unter anderm mit Hilfe von Papierausschnitten, welche man auf die betreffenden Stellen legt), oder mit reinem Wasser ausgewaschen. Die Anwendung von Deckweiß soll vermieden werden. Mittel- und Vordergrund werden im Lokalton angelegt mit Aussparung der Lichter, welche aber gleichfalls, wie beim Hintergrund, ausgewaschen werden können. Um besonders feine Details auszuführen, z. B. Grashalme, Glanzlichter auf Fleischteilen, Stoffen etc., befeuchtet man entweder die betreffenden Stellen mit Wasser und hebt die Farbe nach einiger Zeit mittels eines Fließpapiers oder Wollenlappens ab, oder man entfernt die Farbe mittels eines Radiermessers. So haben englische Aquarellisten bis in die neueste Zeit die feinsten Details hervorgezaubert ohne alle Anwendung von Deckfarben. Gegenwärtig ist man jedoch in letzterm Punkt nicht mehr so skrupulös, und namentlich bei figuralen Szenen wird an den neuesten englischen Aquarellisten ein übertriebener Verbrauch von Deckweiß und ein zu starker Gummizusatz zu den Farben gerügt, wodurch der Vordergrund ihrer Bilder wie in Gouache gemalt erscheint.

Während die A. in England zur eigentlich nationalen Kunstweise geworden ist, ist sie auf dem Kontinent nicht überall zu gleicher Höhe gediehen. Am nächsten kommen der englischen die französische, italienische und spanische A. In Paris wie in Brüssel haben sich Gesellschaften für A. nach dem Muster der englischen konstituiert, welche jährlich eigne Ausstellungen veranstalten. Die ersten französischen Aquarellisten (voran der in Paris thätige Engländer Bonington) lehnten sich an Turner, Girtin etc. an, und bald wurde die A. Modesache, der auch große Maler, wie Delacroix, huldigten. Auf Bonington folgten: Huet, Decamps, Johannot, Gudin, Roqueplan, L. Boulanger, C. Nanteuil und die gegenwärtigen Spitzen der Société des aquarellistes, Eugène Lami, E. Isabey und H. Baron. Vorzügliche Landschafter sind: F. L. Français, J. Jacquemart, Hubert, Ouvrié, Gué, Fort etc. Im Genre glänzen: Ed. Detaille, Berchère, E. de Beaumont, Berne-Bellecour, L. Leloir, A. de Neuville etc.; im Porträt: Doré, Olivier, Grand; als Tiermaler: Lambert; als Blumen- und Stilllebenmaler: Jeannin, Redouté, die Damen Desportes und Martin Bouchère. Außerdem sind Aquarelle auf Atlas und Seide für Fächerschmuck

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b1_s0709.jpg&oldid=- (Version vom 20.4.2022)