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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1

Tragikern und Komikern, unter diesen namentlich Aristophanes und Menander, sowie Platon zugewendet. Von einem umfänglichen und vielbenutzten lexikalischen Werk besitzen wir noch beträchtliche Fragmente. Sammlung der Bruchstücke seiner Schriften von Nauck (Halle 1848).

Aristotĕles, der einflußreichste Philosoph und Naturkundige Griechenlands, wurde 384 v. Chr. zu Stagira in Chalkidike an der Küste des Strymonischen Meerbusens geboren, weshalb er auch häufig der Stagirit genannt wird. Sein Vater Nikomachos, Leibarzt und Freund des makedonischen Königs Amyntas II., leitete sein Geschlecht von Asklepios ab und war durch mehrere Schriften über Arzneikunde und Naturlehre als Schriftsteller aufgetreten. Als A. sein 17. Jahr zurückgelegt hatte, ging er nach Athen, um Platon zu hören, zu dem er jedoch in kein dauerhaftes freundschaftliches Verhältnis getreten zu sein scheint. Nach dem Tod Platons (347) verließ A. Athen und begab sich zu Hermias, dem Beherrscher von Atarneus, konnte sich aber, als dieser schon drei Jahre danach auf Befehl des Perserkönigs schimpflich hingerichtet wurde, nur durch die schleunigste Flucht gleicher Gefahr entziehen und trug die Liebe zu seinem Freund auf Pythias, die Schwester (oder Nichte) desselben, über, mit der er sich (345) vermählte. Zwei Jahre später wurde er vom König Philipp von Makedonien zur Erziehung des damals 13jährigen Alexander berufen. Nach des letztern Thronbesteigung lebte A. anfänglich in philosophischer Abgeschiedenheit zu Stagira, siedelte aber 335 nach Athen über, wo er sich in dem nach dem benachbarten Tempel des Apollon Lykeios benannten Lyceum, das wie Platons Akademie mit schattigen Baumgängen und Anlagen zum Lustwandeln umgeben war, einrichtete. Weil A. mit seinen Schülern in diesen Gängen auf und ab wandelnd zu philosophieren pflegte, wurde ihnen der Name Peripatetiker beigelegt. Seine Vorlesungen unterschied er in Morgen- und Abendvorträge, zu deren erstern nur die vertrautern Freunde des Philosophen Zutritt hatten, die in die tiefer gehenden philosophischen Untersuchungen, in das System und die höhere Spekulation eingeführt werden sollten. Diese Vorträge hießen akroamatische; es waren dies esoterische Untersuchungen, deren Gegenstände, der Metaphysik und Theologie, Physik und Dialektik angehörend, in streng wissenschaftlicher Form behandelt wurden. In den Abendstunden wurden exoterische Untersuchungen vorgenommen, welche sich auf Rhetorik, Sophistik und Politik bezogen, die praktische Bedeutung und den praktischen Zweck der Gegenstände im Auge hatten und allgemeine Verständlichkeit in populärer Form bezweckten. In dieser Zeit seiner ausgedehnten Lehrthätigkeit während seines zweiten, 13jährigen Aufenthalts in Athen wurden seine wichtigsten philosophischen und naturwissenschaftlichen Werke abgefaßt. Die litterarischen Hilfsmittel, welche nötig waren, um die unermeßliche Fülle von Erfahrungskenntnissen aufhäufen und die Masse von Materialien gewinnen zu können, wie sie in den Werken des A. verarbeitet enthalten sind, wurden ihm durch die Unterstützung Alexanders verschafft, dessen Freigebigkeit ihn in den Stand gesetzt hatte, sich eine reiche Bibliothek zu erwerben. Um das große Werk über die Geschichte der Tiere, das dieser schon in Stagira vorbereitet hatte, zu fördern, schenkte ihm Alexander nicht nur beträchtliche Geldsummen, sondern stellte auch alle die zu seinen Diensten, die in Asien oder Griechenland in irgend einer Beziehung Tiere unter Aufsicht hatten, wie die Besitzer von Teichen, Waldungen, Viehherden u. dgl. Obgleich die Zuneigung, die Alexander seinem Lehrer bisher bewiesen, in der Folgezeit, angeblich infolge der Tötung des Kallisthenes (323), eines Neffen und Zöglings des A., erkaltete, galt A. den Feinden des Königs als Makedonierfreund, und als die Athener alle Anhänger der makedonischen Herrschaft innerhalb der Stadt verfolgten, stand A. unter ihnen obenan. Auf Anstiften des Hierophanten Eurymedon durch einen angesehenen athenischen Bürger, Demophilos, der Gottlosigkeit oder Irreligiosität angeklagt, weil einige Lehrsätze des Philosophen im Widerspruch mit der Volksreligion standen, floh A., ohne die gerichtliche Entscheidung abzuwarten (322), nach Chalkis auf Euböa, wo er seine Lehrvorträge bis zu seinem 322 im 63. Lebensjahr erfolgten Ende fortsetzte. Er hinterließ eine unmündige Tochter, Pythias, und einen Pflegesohn, Nikanor, außerdem eine Geliebte, Herpyllis, von der ihm der bei des Vaters Tod noch sehr junge Nikomachos geboren worden war. Das schönste uns erhaltene Porträt des A. ist die (sitzende) Statue im Palazzo Spada zu Rom, eine der ausdrucksvollsten Porträtstatuen des Altertums.

Schriften des Aristoteles.

Von den sehr zahlreichen Schriften des A. (nach einigen 400, nach andern gar 1000) sind aus dem Altertum drei Verzeichnisse auf uns gekommen: das des Diogenes Laertius, das des sogen. Anonymus Menagii und ein aus arabischer Quelle stammendes in der von Casiri herausgegebenen Bibliothek der arabischen Philosophen (abgedruckt bei Buhle, „Werke des A.“, Bd. 1). Das letztere stimmt am meisten mit den uns erhaltenen Schriften überein; alle aber weichen von den Angaben andrer Schriftsteller und unter sich bedeutend ab. Die Alten teilten seine Schriften in esoterische und in exoterische ein, von denen die erstern als wesentliche Glieder in dem systematischen Zusammenhang der philosophischen Schriften sich geltend machten, während die letztern unmittelbar für das Publikum bestimmt waren. Die meisten der noch vorhandenen Schriften fallen in den erstern Kreis. Den Fächern nach sind zunächst die vorhandenen logischen Schriften des A. unter dem Namen „Organon“ in ein Ganzes vereinigt worden (herausgeg. von Th. Waitz, Leipz. 1844–46, 2 Bde.; deutsch von Zell, Stuttg. 1836–1861, 8 Bde.; von Kirchmann, Heidelb. 1883). Es besteht aus sechs kleinen Schriften, welche von der Natur und der Bildung der Schlüsse und des Beweises durch Schlüsse handeln, und unter welchen die sogen. „erste Analytik“, die über den Schluß, und die „zweite Analytik“, die über den Beweis, die Definition und Einteilung und über die Erkenntnis der Prinzipien handelt, die wichtigsten sind. Von den übrigen betrifft die Schrift „Über die Kategorien“ (deren Echtheit bestritten wird) die höchsten Allgemeinbegriffe, die (gleichfalls unsichere) Abhandlung „Über die Auslegung“ den Satz und das Urteil, die sogen. „Topik“ die dialektischen oder Wahrscheinlichkeitsschlüsse, und endlich die Untersuchung „Über die sophistischen Schlüsse“ die Trugschlüsse der Sophisten und deren Auflösung. Unter dem Namen „Organon“ (Werkzeug) sind dieselben zusammengefaßt worden, weil A. die Logik oder, wie er sie nennt, „Analytik“ nicht als einen Teil der Philosophie selbst, sondern als eine „Propädeutik“ (Vorschule) zu dieser betrachtet.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 1. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 815. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b1_s0815.jpg&oldid=- (Version vom 3.11.2021)