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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2

und Kohlensäure in erhöhtem Maß. Ein gut gehopftes B. regt die Absonderung des Darmsaftes und die Thätigkeit der Nieren an und befördert bei anhaltendem Genuß Vollblütigkeit und Fettbildung. Daher ist es anämischen, magern Personen, die gleichzeitig an atonischer Verdauungsschwäche leiden, zu empfehlen, und Rekonvaleszenten genießen es bisweilen mit größerm Vorteil als schwere Weine, welche leicht auf das Gehirn wirken. Kohlensäurereiche Biere sind auch für die Beförderung der Schleimabsonderung in den Bronchien nicht ohne Wert, und in gewissem Sinn kann die Kohlensäure als ein Gewürz betrachtet werden. Die berauschende Wirkung des Biers ist bei weitem geringer als die des Weins oder gar des Branntweins, und indem es letzterm mehr und mehr Terrain abgewinnt, vollzieht es eine hohe kulturgeschichtliche Mission. Dem geringen Alkoholgehalt des Biers stehen in seiner berauschenden Wirkung Kohlensäure und Malzextrakt noch etwas mäßigend gegenüber; aber der Bierrausch erzeugt einen viel jämmerlichern Zustand als der Weinrausch, was vor allem auf Rechnung des Hopfens zu schreiben ist. Hopfen regt in kleinen Dosen den Appetit an und befördert den Stuhlgang; aber nach größern Gaben entsteht ein Gefühl von allgemeiner Schwere und Müdigkeit, und es ist bekannt, daß ein längerer Aufenthalt in Räumen, in welchen sich Hopfen befindet, Eingenommenheit des Kopfes, Kopfschmerz, selbst leichte Betäubung erzeugt. Ob indes die einschläfernde Wirkung eines sehr stark gehopften Biers in erster Linie dem Hopfen zuzuschreiben ist, erscheint fraglich. Anhaltender starker Biergenuß erzeugt Phlegma, Trägheit, Gleichgültigkeit; doch ist diese Wirkung, welche die tägliche Erfahrung zu bestätigen scheint, häufig sehr übertrieben worden. Wie jedes andre im Übermaß genossene geistige Getränk, lähmt auch das B. endlich die Geistesthätigkeit, und dies tritt um so früher ein, je dürftiger die Ernährung dabei ist. Personen die zur Vollblütigkeit und Fettleibigkeit neigen, müssen vorsichtig im Biergenuß sein, und zur Zeit herrschender Epidemien, wie Cholera, Ruhr, sind hefereiche, leicht zersetzbare Biere zu vermeiden.

Von der Bedeutung der Bierbrauerei in nationalökonomischer Beziehung erhält man einen ungünstigen Begriff, wenn man die bei dem Brauprozeß eintretende Veränderung der Getreidesubstanz beobachtet. Zunächst erleidet die Gerste beim Malzen einen Verlust durch die Entwickelung der Wurzelkeime, welche von dem Brauprozeß ausgeschlossen werden; auch ist der Keimprozeß begleitet von einer Kohlensäureentwickelung, bei welcher durch den Sauerstoff der Luft organische Substanz zerstört wird. Aus dem geschrotenen Malz werden weder die Eiweißkörper noch das Stärkemehl und Dextrin vollständig extrahiert, beim Kochen der Würze scheidet sich wieder eine große Menge eiweißartiger Stoffe ab, ebenso bei der Gärung in Form von Hefe, und der größte Teil des Zuckers wird in Alkohol, der nicht direkt als Nahrungsmittel zu betrachten ist, und in Kohlensäure zerlegt. So entstehen sehr bedeutende Verluste, und es unterliegt keinem Zweifel, daß dieselbe Ackerfläche, auf welcher die Gerste gewachsen ist, mit Brotfrucht bestellt, für die Ernährung des Volkes erheblich mehr geleistet haben würde. Ein Teil der oben genannten Verluste wird nun zwar durch die Benutzung der Abfälle als Viehfutter einigermaßen vermieden, aber es gelangen dabei Substanzen zur Viehfütterung, welche als Nahrung für den Menschen viel höher hätten verwertet werden können, und ein Teil der Nahrungsstoffe geht ganz und gar verloren. Dagegen stellt sich die Betrachtung wieder etwas günstiger, wenn man erwägt, daß die im B. übriggebliebenen Getreidebestandteile in löslicher, leichtverdaulicher Form dargeboten werden, und daß der Alkohol wesentlich anders auf den Körper wirkt als das entsprechende Gewicht Stärkemehl, aus welchem er entstanden ist. Man muß notwendig den ganzen Wert des Biers als Nahrungs- und Genußmittel in Betracht ziehen, wenn man abwägen will, wie hoch sich seine Herstellung beziffert, und darf nicht vergessen, welchen Gewinn die Bierbrauerei als hoch entwickelter Industriezweig, mit welchem andre Industrien in regster Wechselwirkung stehen, dem Volk bringt.

Geschichtliches und Statistik.

Aus Getreide dargestellte bierähnliche Getränke waren schon im grauen Altertum gebräuchlich. Chinesen, Japaner, auch die alten Ägypter und Abessinier tranken B., und wie es scheint, verstanden die Ägypter auch, Gerste in Malz zu verwandeln. Die Bereitung des Gerstenbiers soll Osiris als Ersatz des Weins gelehrt haben. Zu Strabons Zeit wurde dieser Gerstenwein (Zythos) in Alexandria ganz allgemein getrunken, aber schon damals machte man das Getränk durch gewürzhafte Zuthaten genießbarer. Auch in Spanien war bei den vorindoeuropäischen, mit den Libyern Afrikas genealogisch oder kulturhistorisch sich berührenden iberischen Stämmen das B. seit alter Zeit üblich, und man verstand dasselbe lange aufzubewahren, ja wohl gar durch das Alter zu veredeln. Dies spanische Getränk, welches auch den Ligurern bekannt war, hieß nach Plinius Caelia oder Cerea. Eine dritte Gruppe ursprünglich B. trinkender Völker, Phrygier und Thraker, gehört schon zu den Indoeuropäern. Schon Archilochos erzählt 700 v. Chr. von ihrem Bryton, welches nach Hekatäos aus Gerste und dem Würzkraut Konyze bereitet wurde. Die Armenier hatten ein starkes, berauschendes Gerstengetränk, von welchem Xenophon in der „Anabasis“ erzählt, daß es aus Krügen, die bis an den Rand noch mit Gerstenkörnern gefüllt waren, mittels kleiner Rohrhalme getrunken werde. Westlich und nördlich von den Thrakern findet sich B. als Sabaja oder Sabajum bei Illyriern und Pannoniern. Priscus, welcher 448 n. Chr. mit der griechischen Gesandtschaft auf dem Weg zu Attila Pannonien durchstrich, erwähnte ein Getränk aus Gerste, welches die „Barbaren“ Camum nannten. Dies Wort ist aber älter als die Ankunft der Hunnen in Europa und scheint seit den Zeiten der großen keltischen Wanderung in Pannonien heimisch geworden zu sein. In allen diesen bisher genannten Ländern ist das B. gegenwärtig bei der Masse des Volkes fast unbekannt. Über die Völker Mittel- und Nordeuropas berichtet zuerst Pytheas, der bald nach Aristoteles lebte. Er fand auf seiner Küstenfahrt bei den vorgeschrittenern und im mildern Klima wohnenden Völkern B. und Met. Vergil erzählt von gegornen Getränken, welche die Skythen, d. h. die Nordvölker überhaupt, statt des Weins genießen. Im mittlern Frankreich tranken die Vornehmern um die Mitte des 1. Jahrh. unsrer Zeitrechnung schon massaliotischen Wein; aber das B. war unter dem Namen Korma noch eigentliches Volksgetränk. Dies keltische B. erhielt sich in Nordfrankreich, Belgien und England während des römischen Kaiserreichs bis zum Mittelalter und bis auf den heutigen Tag. Das Wort Korma ist dem Stamm nach vielleicht identisch mit dem spanischen Cerea, welches oben erwähnt wurde, und man darf annehmen, daß das B. aus Spanien zu den Kelten gekommen sei. Frühzeitig erscheint die Namensform Cervesia, Cervisia, welche sich bis heute in den

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 2. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885, Seite 920. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b2_s0920.jpg&oldid=- (Version vom 11.4.2023)