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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4

behandelt, ohne jedoch die Grenzen anzugeben. Die niederhessische Mundart grenzt in der Werragegend an die thüringische, im Westen an die westerwäldische und im Norden an die niederdeutsche. Ein eigentlich hessischer Charakter ergibt sich kaum bestimmt. Den Gießener Dialekt hat Brentano in seinem „Gockeleia“ ausgebeutet; Crönlein schrieb eine Posse in Gießener und Stahl eine Satire („Die Weilberger Kerb“) in Weilberger Dialekt. Eine sehr gute lexikalische Sammlung für das hessische Idiom gab Vilmar in seinem „Idiotikon von Kurhessen“ (Marb. 1868).

Die natürliche südliche Grenze der thüringischen Mundarten bildet der Rennsteig des Thüringer Waldes; nördlich grenzen sie an den Vorbergen des Harzes an das Niederdeutsche, und im Osten scheidet sie die Thüringische Saale von dem Obersächsischen und Sorbischen, von dem dort schon Formen und Wendungen angenommen werden. Genaue Grenzen für die einzelnen Idiome, die besonders in den Waldgegenden von Ort zu Ort wechseln, anzugeben, dürfte kaum das Ergebnis langer, mühevoller Studien sein. Am meisten hängen sie im Thüringer Flachland, in der Goldenen Aue bis Weimar und anderseits bis Mühlhausen und Nordhausen nebst der sondershäusischen Unterherrschaft, zusammen, wo sie ein großes, in sich abgeschlossenes Gebiet innehaben. Derselbe Dialekt kehrt im Gothaischen wieder und reicht bis zum Wald nach Ilmenau und Arnstadt hinauf. Von Weimar im Ilm- und Geragebiet waldaufwärts nähert sich der Dialekt schon sehr dem obersächsischen, ist aber fast noch breiter und reizloser als dieser. Der Dialekt der Gebirgsbewohner zeichnet sich durch einen gewissen rauhen, dabei aber singenden Ton aus, der durch Zeichen nicht wiederzugeben ist. Auch im eisenachischen Gebiet und der sondershäusischen Unterherrschaft hat er etwas Gedehntes, Singendes, das durch Lautzeichen ebenfalls nicht anzudeuten ist. Nach dem Osterland zu und über Naumburg hinaus geht, wie bemerkt, die thüringische Mundart allmählich in die meißnische oder obersächsische über. Sagen im thüringischen Dialekt gab Bechstein („Sagenschatz des Thüringer Landes“, „Deutsches Museum“ und „Thüringen in der Gegenwart“). Im Dialekt von Ruhla dichteten L. Storch, in Altenburger Mundart Fr. Ullrich („Volksklänge“, 3. Aufl., Stettin 1874), in der Rudolstädter Sommer („Bilder und Klänge aus Rudolstadt“, 11. Aufl., Rudolst. 1881, 2 Bde.). Den mansfeldischen Dialekt wandte (in Poesie und Prosa) Giebelhausen in mehreren Schriftchen an, z. B.: „Nischt wie lauter Hack un Mack, alles dorchenanner dorch“ (Hettstedt 1865, 2 Hefte). Als grammatische und lexikalische Leistungen sind zu erwähnen: K. Regel, Die Ruhlaer Mundart (Weim. 1868); Pasch, Das Altenburger Bauerndeutsch (Altenb. 1878).

Der eigentlich obersächsische (meißnische) Dialekt, die alte Markgrafschaft Meißen und das Osterland beherrschend, bildet seinem Charakter nach ein Mittelglied zwischen dem Ober- und Niederdeutschen. Der Unterschied der weichen und harten Konsonanten ist dem Obersachsen ganz verloren gegangen; er kann b und p, d und t, g und k in der Aussprache nicht unterscheiden und spricht für beide einen Mittellaut zwischen hart und weich. Im Vokalismus stimmt das Obersächsische zum Niederdeutschen, indem es das alte ei und au in ê, resp. ô kontrahiert, z. B. Klêd, Flêsch, Bôm. Proben des Dialekts findet man in Firmenichs „Germaniens Völkerstimmen“. Eine Grammatik nebst Lexikon der Leipziger Mundart veröffentliche K. Albrecht (Leipz. 1880), Gedichte in derselben F. A. Döring („Launige Gedichte“, 2. Aufl., das. 1835, u. a.) und E. Bormann („Mei Leibzig low’ ich mir“; „Herr Engemann“; „Leibz’ger Allerlei“ u. a.). Die Verwandtschaft des erzgebirgischen und riesengebirgischen Dialekts mit dem oberdeutschen ist schon früher angedeutet worden. Vgl. Göpfert, Die Mundart des sächsischen Erzgebirges (Leipz. 1878). Die Mundarten Schlesiens, so verschieden sie auch unter sich wieder sein mögen, stimmen doch im wesentlichen alle mit der obersächsischen überein; indes ist die Aussprache meist reiner und wohlklingender als in Obersachsen. Eigentümlich ist die Mundart der Breslauer „Kräuter“, d. h. der Kraut- oder Kohlgärtner, die näher mit der oberpfälzischen (ostfränkischen) als mit den übrigen schlesischen Mundarten zusammenzutreffen scheint; sie verwandelt gewöhnlich ie in ei (z. B. leib, Deib statt lieb, Dieb), u in au (gaut, raut statt gut, rot) und i in ei (z. B. eich, meich, deich statt ich, mich, dich). Mehrere Lieder dieser Kräuter finden sich in Fülleborns „Breslauischen Erzählungen“. In der Mundart um Glogau ist die „Kraune zu Brassel“ (in Vaters „Volksmundarten“) gedichtet. Auch Holtei („Schlesische Gedichte“, 18. Aufl., Bresl. 1883) und K. F. Becker schrieben Gedichte in schlesischer Mundart. Ein bemerkenswertes älteres Denkmal des schlesischen Dialekts ist das Scherzspiel „Die geliebte Dornrose“ von Andreas Gryphius (zuerst um 1660 erschienen; neu hrsg. von Tittmann, Leipz. 1870). Grammatisch ist die Mundart behandelt von Weinhold („Die Laut- und Wortbildung und die Formen der schlesischen Mundart“, Wien 1853). Derselbe lieferte auch „Beiträge zu einem schlesischen Wörterbuch“ (Wien 1855). Vgl. noch Waniek, Zum Vokalismus der schlesischen Mundart (Bielitz 1880).

Die niederdeutschen Mundarten.

Nördlich von der oben gezogenen Grenzlinie herrschen nun die vom Altsächsischen herstammenden sogen. niederdeutschen Mundarten. Am Rhein grenzen dieselben an das fränkisch-niederdeutsche oder niederfränkische Sprachgebiet, zu welchem außer den eigentlichen Niederlanden auch noch die deutschen Provinzen Kleve und Geldern gehören. Das Niederdeutsche entbehrt größtenteils noch einer wissenschaftlichen Erforschung, und es lassen sich daher nur wenig sichere Angaben über Untermundarten und deren Gebiet machen. Man unterscheidet gewöhnlich zwei Mundarten: die westfälische, westlich der Weser, und die eigentlich niedersächsische, zwischen Weser und Elbe und in den okkupierten slawischen Gegenden im Osten derselben. Als charakteristisches Merkmal des niedersächsischen und westfälischen Dialekts kann die Aussprache der schriftdeutschen Laute u und i, die im Niedersächsischen o und e, im Westfälischen au und ei ausgesprochen werden, und die Form des Fürwortes mir, mich, dir, dich, das im Niedersächsischen mi, di, im Westfälischen mek, dek heißt, angenommen werden. Von den Mundarten im Osten der alten Slawengrenze sind vorzugsweise die pommerschen Gegenstand gründlicher Untersuchung gewesen, als deren Resultat Böhmer („Baltische Studien“) angibt, daß in Pommern zwei gründlich verschiedene niederdeutsche Mundarten nebeneinander bestehen, in denen zugleich alle Unter- und Spielarten der Provinz begriffen sind. Die eine ist rund, leicht, rollend, ohne alle Doppellaute, einfach in Wurzeln und grammatischer Ausstattung, eine echte Schwester der nordischen und englischen Sprache und großer Behendigkeit, Gewandtheit, Traulichkeit und Lieblichkeit fähig; die andre breit an Lauten, gedehnt, voll, schwer, nachdrücklich bis zu großer Trägheit und ziemlicher Härte, insbesondere erfüllt mit gewissen Diphthongen (au,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 4. Bibliographisches Institut, Leipzig 1886, Seite 786. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b4_s0786.jpg&oldid=- (Version vom 13.6.2021)