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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 6

einer Wissenschaftslehre, d. h. einer Anweisung, wie ein durchaus und streng wissenschaftliches Wissen zu stande zu bringen sei. Daß unter dem Subjekt oder, wie er es nannte, dem Ich sein eignes persönliches (das Ich des Individuums F.) gemeint sein sollte, als mache, spiegele er selbst sich die Welt nur vor und sei eigentlich mit seiner Phantasmagorie allein im Weltraum vorhanden, erklärte F. selbst für einen „unsinnigen und bodenlosen Idealismus und Egoismus“, den ihm „beleidigte Höflinge und ärgerliche Philosophen“ angedichtet hätten. Dasselbe wird von ihm (wie das Erkenntnisvermögen von Kant) nicht im individuellen, sondern im allgemeinen Sinn gefaßt, um begreiflich zu machen, wie in einem solchen und durch ein solches ein Wissen überhaupt zu stande komme. Da der Schluß von der Wirkung im Subjekt auf eine Ursache außer dem Subjekt keine Geltung mehr hat, so kann auch der Schluß, daß Vorstellungen, die das Subjekt in sich antrifft, ohne sich bewußt zu sein, sie selbst hervorgebracht zu haben, von einem andern (dem Ding an sich) in ihm erzeugt seien, keine Geltung mehr beanspruchen. Vielmehr müssen die Vorstellungen, von deren Erzeugung das Ich nichts weiß, ebensogut durch dasselbe selbst hervorgebracht sein wie diejenigen, bei welchen es sich seines Hervorbringens bewußt ist. Es findet daher zwar nach wie vor ein Unterschied zwischen im Bewußtsein angetroffenen (dem Anschein nach nicht vom Subjekt herrührenden) und mit Bewußtsein hervorgebrachten (vom Subjekt selbst erzeugten) Vorstellungen statt; aber der Ursprung derselben fällt gänzlich innerhalb, nicht bezüglich der erstern außerhalb des Subjekts, d. h. die scheinbar nicht vom Ich herrührenden Vorstellungen rühren von diesem ebensogut her wie die von ihm selbst als von ihm herrührend gewußten. Was überhaupt im Subjekt vorhanden ist, ist durch dieses gesetzt; dasjenige, bei welchem das Subjekt (das Ich) dieser Setzung sich nicht bewußt ist, betrachtet es zwar als durch ein andres (ein Nicht-Subjekt, Nicht-Ich) gesetzt, aber nur, um es schließlich als seine Setzung (durch das Subjekt gesetzt) wieder zurückzunehmen. Die drei Stufen dieses Prozesses, die F. als Thesis, Antithesis und Synthesis bezeichnet, bilden das Instrument, durch welches F. die ganze (Kant zufolge wenigstens dem materiellen Bestandteil, den Empfindungen, nach von außen gegebene) Erfahrungswelt in Thaten des Ichs und die sogen. Transcendentalphilosophie, als Wissen von dem Zustandekommen der Erfahrung, in Selbstbewußtsein des Ichs, als Wissen von diesen Thaten als den seinigen, auflöst. Nicht nur die räumlichen und zeitlichen Formen der Empfindungen, die ja nach Kant selbst schon dem Subjekt angehörten, sondern diese selbst müssen als Thaten des Ichs aufgezeigt werden. F. bezeichnete es als die eigentümliche Aufgabe der Wissenschaftslehre, zu zeigen, wie die unwillkürlichen Vorstellungen, das Sehen, Hören etc., aus eigner, zwar nicht gesetzloser, aber durch nichts andres als durch die Natur des thätigen Subjekts selbst gebundener Thätigkeit hervorgehen. Diese, die handelnde Intelligenz, findet sich bei ihrer Produktion zwar in „unbegreifliche Schranken“ eingeschlossen; dieselben sind aber nichts weiter als die Folgen ihres eignen Wesens, Gesetze der Intelligenz, und indem diese die Nötigung, von der ihre bestimmten Vorstellungen begleitet sind, fühlt, empfindet sie nicht einen Eindruck von außen, sondern ihr eignes Gesetz. Inwiefern der Idealismus diese „einzige vernunftmäßige, bestimmte und wirklich erklärende“ Voraussetzung von notwendigen Gesetzen der Intelligenz macht, wird er von F. als der „kritische oder transcendentale“, dagegen ein solcher, welcher bestimmte Vorstellungen aus einem „gesetzlosen“ Handeln ableitet, als „transcendenter und bodenloser“ bezeichnet. Feststehend nach F. sind daher nur die Gesetze der nach seinem Willen nicht einmal als „Thätiges“, sondern als bloßes „Thun“ anzusehenden Intelligenz; alles vermeintlich ruhende Sein (die sogen. objektive, für den idealistischen Standpunkt nur als Vorstellung im Ich vorhandene Welt) ist, ans Licht des Bewußtseins gezogen, Gewordenes.

Durch diese Gesetze ist die Gestalt dieser Welt als das notwendige Produkt des in „unbegreifliche Schranken“ ihres Wesens eingeschlossenen Handelns der Intelligenz begründet, d. h. die Welt unsrer Vorstellungen kann keine andre sein, als die Natur der Intelligenz, als ihrer ausschließlichen Erzeugerin, es gestattet. Keineswegs aber sind dadurch jene Schranken selbst und das in ihnen sich bewegende Handeln der Intelligenz begreiflich gemacht. Soll dasselbe kein zweckloses und die durch dasselbe produzierte Vorstellungswelt (die „Scheinwelt der sinnlichen Dinge“) kein unbegreifliches, nichtiges und ebendeshalb trügerisches Gaukelspiel sein, so muß demselben und dadurch auch der sinnlichen Erscheinungswelt, ihrem Produkt, irgend ein Zweck, eine vernünftige Absicht, allerdings nicht außerhalb des Subjekts, da außer dem Ich nichts existiert, sondern innerhalb desselben, zu Grunde liegen. Dieser Zweck, dessen Erweis F. in der Sittenlehre versucht, liegt darin, daß das Ich Selbstzweck und die Erscheinung einer Welt das einzige Mittel, d. h. die Bedingung zur Erreichung desselben, ist. Handeln, das Wesen des Ichs, ist zugleich dessen absolute Bestimmung, und da es ohne Erscheinung einer bestimmten Welt zu einem bestimmten Handeln nicht kommen könnte, so liegt die Produktion der Erscheinungswelt auf dem Weg zwischen dem Ich, wie es (potentialiter, der Möglichkeit nach) an sich und (actualiter, der Wirklichkeit nach) infolge seiner eignen Selbstverwirklichung für sich ist. Kann Wirksamkeit überhaupt, also auch jene des Ichs, gar nicht gedacht werden ohne den Gegensatz von Innen und Außen, Subjekt und Objekt, von etwas, wovon sie aus-, und etwas, auf was sie hingehen muß: so bildet der absolut durch das Ich selbst gesetzte Zweck das eine, der rohe Stoff der Welt das andre Ende; die Setzung und Bewältigung des letztern zur Realisierung und Bewährung des erstern macht die Bestimmung des Ichs aus. „Unsre Welt“, lehrt F., „ist das versinnlichte Material unsrer Pflicht; dies ist das eigentliche Reelle in den Dingen, der wahre Grundstoff aller Erscheinung.“ Die Realität der Welt beruht nicht auf einem Wissen, sondern (ähnlich wie nach Kants Postulierungsmethode der praktischen Vernunft für diese das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele) auf einem bloßen Glauben, der seinerseits in der Notwendigkeit wurzelt, das Pflichtgebot zu realisieren, welches sich ohne eine Welt nicht realisieren läßt. Die aus der ursprünglichen Einrichtung unsrer (subjektiven) Natur ausgeborne (idealistische) Welt ist daher zwar nur das Spiegelbild dieser, die Offenbarung unsrer selbst; das Ganze aber ist eine durchaus moralische Anordnung und dient moralischen Zwecken. „Diese lebendige moralische Ordnung ist Gott“; eines andern bedürfen wir nicht und können keinen andern fassen, denn der Schluß, daß, wo Ordnung sich kundgebe, ein Ordner vorauszusetzen sei, „wird durch den Verstand gemacht und gilt nur auf dem Gebiet der sinnlichen Erfahrung“. Ihm Bewußtsein zuschreiben hieße ihn in Schranken einschließen, d. h. vermenschlichen; ein Bewußtsein

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 6. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b6_s0236.jpg&oldid=- (Version vom 22.2.2023)