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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8

verderbliche; beide konnten von der Einwirkung des Teufels hergeleitet werden, und die Masse zeigte sich der Vernichtung der Ketzer, an welcher der Kirche einzig lag, um so geneigter, wenn ihnen zugleich Zauberei und Teufelsbündnis schuld gegeben wurde. Das trat in der Verfolgung der Waldenser, Albigenser und Templer deutlich hervor, und mit dieser nahmen die Hexenprozesse in Frankreich ihren Anfang. Die weltlichen Behörden suchten zwar den geistlichen Gerichtshöfen die gefährliche Jurisdiktion über Zaubereiverbrechen zu entreißen, und nachdem dies dem Pariser Parlament (1390) gelungen war, nahmen die Zaubereiprozesse, das Vorspiel der eigentlichen Hexenprozesse, in Frankreich ab. Aber die theologische Fakultät von Paris erklärte nichtsdestoweniger (1398) die Teufelsbündnisse für Thatsache, und Papst Eugen IV. ermunterte 1437 die Inquisition wieder, gegen die Zauberer und Hexen ihre Pflicht zu thun. Die Folgen ließen nicht warten. In dem großen Prozeß von Arras (1459) wegen „Waldenserei“ begegnen wir bereits einer getreuen Schilderung des Hexensabbats (s. unten), welcher den Gegenstand aller spätern Anklagen ausmacht. Das Pariser Parlament verwarf zwar 1491 die vor 30 Jahren geschehene Verurteilung und setzte die Erben der Ermordeten wieder in den Besitz der eingezogenen Güter, doch vermochte es der Inquisition nicht auf die Dauer zu trotzen.

Die eigentliche Periode der Hexenprozesse, welche ganz Deutschland, Italien, Frankreich, Spanien und England in eine große Richtstätte verwandelten, wo in jeder Stadt die Folterknechte arbeiteten und Scheiterhaufen dampften, nahm ihren Anfang erst mit Papst Innocenz’ VIII. Bulle „Summis desiderantes affectibus“ (1484). In dieser Bulle heißt es unter anderm: „Wir haben neulich nicht ohne große Betrübnis erfahren, daß es in einzelnen Teilen Oberdeutschlands und in den mainzischen, kölnischen, trierischen, salzburgischen, bremischen Provinzen und Sprengeln in Städten und Dörfern viele Personen von beiden Geschlechtern gebe, welche, ihres eignen Heils uneingedenk, vom wahren Glauben abgefallen, mit dämonischen Inkuben und Subkuben sich fleischlich vermischen, durch zauberische Mittel mit Hilfe des Teufels die Geburten der Weiber, die Jungen der Tiere, die Früchte der Erde, die Trauben der Weinberge, das Obst der Bäume, ja Menschen, Haus- und andre Tiere, Weinberge, Baumgärten, Wiesen, Weiden, Körner, Getreide und andre Erzeugnisse der Erde zu Grunde richten, ersticken und vernichten, welche Männer, Weiber und Tiere mit heftigen innern und äußern Schmerzen quälen und die Männer am Zeugen, die Weiber am Gebären, beide an der Verrichtung ehelicher Pflichten zu verhindern vermögen“. Deshalb trägt der Papst den beiden Inquisitoren für Süd- und Norddeutschland, Heinrich Institor und Jakob Sprenger, welche die Bulle am päpstlichen Hof erwirkt hatten, auf, die Zauberer und Hexen in oben genannten Gegenden auszuspähen, zu bestrafen und auszurotten, wie sie nur wüßten und könnten; auch befiehlt er dem Bischof von Straßburg, Albrecht von Bayern, die Inquisitoren zu schützen und ihnen bei Ausführung ihres Auftrags allen Vorschub und hilfreiche Hand zu leisten. Diese Männer und andre durchzogen nun Deutschland von einem Ende zum andern, überall jammernde Familien und verbrannte menschliche Gebeine hinter sich lassend; vorzüglich aber war es Sprenger, der den Hexenglauben in ein förmliches System brachte und die Hexenprozesse formell begründete. Sein „Hexenhammer“ („Malleus maleficarum“, verfaßt im J. 1487, aber erst zwei Jahre später, 1489, in Köln gedruckt) wurde bald Gesetzbuch in Hexensachen und regelte das ganze ordentliche gerichtliche Verfahren gegen die Hexen. Er zerfällt in drei Teile: der erste handelt von der Hexerei im allgemeinen; der zweite legt verschiedene Arten und Wirkungen der Hexerei dar, und wie man dieselben wieder aufheben könne; im dritten ist das Gerichtsverfahren gegen die Hexen enthalten, ein förmliches Hexenprozeßrecht. Hier wird zuvörderst die Kompetenz in Hexenprozessen dem geistlichen Richter vindiziert, Hexerei mit Ketzerei identifiziert, sobald mit der Hexerei Ketzerei vermischt sei; in andern Fällen behält sich das geistliche Gericht vor, die Angeklagten dem weltlichen Richter zu überlassen; dann wird in 35 Fragen erörtert, wie der Prozeß anzufangen, fortzusetzen und das Urteil zu sprechen sei. Der Richter darf auf bloßes Gerücht hin, daß es an einem Ort Hexen gäbe, ex officio anfangen, zu inquirieren, und Zeugen, deren zwei oder drei genügen, zusammensuchen, sie durch einen Eid zwingen, die Wahrheit zu sagen, auch sie mehrmals examinieren. Sogar Exkommunizierte, Infame können als Zeugen auftreten, ja Ketzer wider Ketzer, Hexen wider Hexen, die Frau gegen den Mann, Kinder gegen Eltern, Geschwister gegen Geschwister zeugen. Selbst Hauptfeinde des Angeklagten sind, mit wenigen Ausnahmen, als Zeugen zuzulassen. Der Anwalt durfte seinen der Ketzerei verdächtigen Klienten nicht über die Gebühr verteidigen, sonst wurde er billig noch für schuldiger gehalten. Um die H. zum Geständnis zu bringen, diente die Tortur. Jakob Sprenger allein ließ zu Konstanz und Ravensburg in Schwaben in kurzer Zeit 48 Weiber verbrennen, und bald wurde durch päpstliche Bullen von Alexander VI., Julius II., Leo X. und Hadrian VI. der „Hexenhammer“ auch für die übrigen europäischen Länder als Grundlage des kanonischen Rechts anerkannt. Ganze Gegenden wurden durch Morden und Brennen entvölkert, wie ein drückender Alp lag das Gespenst der Hexenfurcht auf dem Volk. Überall hatten die geistlichen Gerichte ihre Späher. War ein altes Weib so unglücklich, rote Augen zu besitzen, so war sie sicher verloren. Die richterliche Untersuchung bezog sich vorzugsweise auf den sogen. Hexensabbat, auch Hexenkultus, Hexenabendmahl genannt, und die Teilnahme der Inkulpatin daran. Mit erfinderischer Phantasie hatten die Priester denselben sich folgendermaßen ausgemalt. Zu gewissen Zeiten, namentlich in der Nacht des 1. Mai (Walpurgisnacht), wo in der heidnischen Zeit ein Frühlingsfest gefeiert wurde, hielt der Teufel große Hoftage. Als Orte dieser Zusammenkünfte waren berüchtigt: der Blocksberg (der Brocken im Harzgebirge), der Guiberg bei Halberstadt, der Köterberg, nicht weit von Korvei an der Weser, der Fichtelberg, der Heuberg in Schwaben etc. Die Hexen verließen ihre Wohnungen auf Besen, Gabeln, Stöcken, Böcken oder Hunden und eilten im schnellsten Flug dem betreffenden Ort zu, wo der Teufel in Gestalt eines Bockes oder Menschen auf seinem Thron saß, die neuen Hexen feierlich aufnahm und einweihte, dann sich förmlich huldigen ließ, indem die Hexen nach einem Ringeltanz um seinen Thron (Hexentanz) einzeln nahten, um seinen Hintern zu küssen. Dann wurde eine aus mitgebrachten Würsten, Schinken etc. der reichern Hexen hergerichtete Mahlzeit gehalten, und zuletzt endigte das Ganze damit, daß jede H. sich im stillen mit ihrem Buhlteufel vergnügte. Mit dem frühsten Morgengrauen ging die Hexenfahrt

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b8_s0503.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2021)