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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8

eines ägyptischen a, entstanden aus dem griechischen α, phönikisch , hieratisch , hieroglyphisch ; ähnlich ist es mit den übrigen Buchstaben. Eine weitere Verkürzung der hieroglyphischen Schrift bildet die etwa im 8. Jahrh. v. Chr. aufgekommene enchorische (wie sie Herodot nennt) oder demotische Schrift (wie sie Clemens von Alexandria nennt). Zunächst für den alltäglichen Verkehr bestimmt, daher auch wohl epistolographische Schrift genannt, ist diese Schreibart noch verkürzter, flüchtiger und schwieriger als die hieratische; aber auch die Sprache, welche mit ihr geschrieben wurde, ist nicht mehr das Altägyptische, sondern ein Volksdialekt, der zwischen jenem und dem Koptischen in der Mitte steht. In den 1000 Jahren, während deren das Demotische bestand, war die altägyptische Sprache bereits eine tote, deren man sich noch zu religiösen Zwecken oder in öffentlichen Urkunden bediente, wie ähnlich die spätern Inder noch Sanskrit, die Juden Hebräisch, die Araber die Sprache des Korans und das Abendland Lateinisch schrieben. Wie hochgeschätzt aber auch bei den alten Ägyptern Wissenschaft und Schriftwesen waren, so scheint die Hieroglyphenkunde doch immer Eigentum der vornehmern Kasten geblieben, niemals allgemein geworden zu sein, wie denn nur Könige, Priester und Krieger an den geistigen Gütern teilgehabt haben. Wenigstens wird in altägyptischen Schriften der Handwerker und Bauern kaum gedacht. Wir lesen wohl die hochtönenden Titel der Könige, die tapfern Thaten der Kriegsmänner, die vielen Würden und Verdienste der Priester; aber von der niedern Volksklasse ist weder in den Gräbern noch in den Tempeln die Rede. Als daher die phantastische Götterlehre der alten Ägypter, an welcher griechische Philosophie noch in letzter Stunde auszubessern versuchte, vor dem Anprall des Christentums ohnmächtig zusammenbrach, da war es auch mit den Hierogrammaten zu Ende; die mystische Wissenschaft, mit welcher sie umgingen, wurde verachtet, ihre lange gepflegte Kunst war nutzlos geworden und wurde rasch vergessen.

Die alten Schriftsteller, welche über Ägypten geschrieben haben, konnten sich nur unvollkommene Auskunft verschaffen, haben auch ihre ägyptischen Quellen mitunter durch Gräzisierung getrübt. Bei Herodot, Diodoros von Sizilien und Plutarch in dem wertvollen Traktat „De Iside et Osiride“ sowie in den „Stromata“ des Clemens von Alexandria finden sich manche Winke über das hieroglyphische Schriftsystem, aber keiner ist auf dasselbe näher eingegangen. Nach ihnen unternahm es ein gewisser Horapollon (Horos Apollon), ein eignes Werk über die H. in ägyptischer Sprache abzufassen, das uns in einer griechischen Übersetzung erhalten ist. Gerade diese Schrift hat aber die Veranlassung zu einer unrichtigen Deutung der H. gegeben, weil sie dieselben als reine Bilderschrift, in der jedes einzelne Zeichen einen selbständigen Begriff darstelle, betrachtet wissen wollte und daher die wunderlichsten Erklärungen einzelner Schriftbilder gab. Die Angaben des Horapollon beruhen auf einem Schriftsystem, das in später Ptolemäischer Zeit vielfache Anwendung fand, und das man um seiner Gesuchtheit und Kompliziertheit willen das änigmatische genannt hat. Ein tiefer Kenner der spätern Hieroglyphenschrift findet viele von Horapollons Deutungen bestätigt; für die Entzifferung und Erklärung sind sie aber fast ganz unfruchtbar. Der letzte klassische Schriftsteller, welcher über die Hieroglyphenschrift Auskunft gibt, ist Ammianus Marcellinus (4. Jahrh. n. Chr.), welcher in seinem Geschichtswerk (XVII,4) die von einem ägyptischen Priester herrührende Übersetzung der Inschrift des Obelisken gibt, welchen Konstantin nach Rom hat bringen lassen. Infolge des Eindringens des Christentums verlor sich das Verständnis der Hieroglyphenschrift immer mehr, und mit dem letzten ägyptischen Götzenpriester ward der lange bewahrte Schlüssel dieser Schrift zu Grabe getragen.

II. Entwickelung der Ägyptologie.

Was nun die Entzifferung der Hieroglyphenschrift betrifft, welche nach Verlauf eines Jahrtausends von neuern Kulturvölkern wieder aufgenommen ward, so ging die Meinung der meisten frühern Gelehrten dahin, daß jene Schrift für Bilderschrift und symbolische Schrift zu halten sei. Da es aber an jeder festen Grundlage für die Erklärung der einzelnen Zeichen fehlte, so überließ sich jeder seiner mehr oder minder besonnenen Phantasie, und je mehr Erklärer endlich seit der ersten Hälfte des 17. Jahrh. aufstanden, um so viel größer wurde die Zahl der willkürlichen Annahmen und Hypothesen. Zu den ersten Erklärern dieser Art gehören Pierius Valerius („Hieroglyphica“, Leid. 1629) und Michel Mercati („Degli obelischi di Roma“, Rom 1589). Athanasius Kircher („Obeliscus pamphilius“, Rom 1650, und „Oedipus aegyptiacus“, das. 1652–54, 3 Bde.) hinterließ Foliobände von Übersetzungen ägyptischer Inschriften; da er aber in engem Anschluß an Horapollon jedem hieroglyphischen Zeichen einen abgeschlossenen Begriff, entweder mittels natürlicher oder mittels symbolischer Erklärung, unterlegte, so ist es ihm nicht gelungen, auch nur eine einzige Hieroglyphengruppe richtig zu deuten. Am besonnensten gingen zu Werke Will. Warburton („On the divine legation of Moyses“, Bd. 2) und Zoëga, indem sie sich damit begnügten, die Nachrichten über die H. bei den alten Schriftstellern zu sammeln und zu kommentieren. Letzterer brachte in seiner Schrift „De obeliscis“ (Rom 1797) die aus den Denkmälern aufgezeichneten 958 Charaktere in sieben Ordnungen und stellte auch verschiedene Epochen der Ausbildung, Veränderung und Anwendung der H. auf; Erklärungsversuche machte er jedoch nicht. Eine neue Epoche für diese Forschungen brach infolge der Expedition Napoleon Bonapartes an, indem man einerseits durch das große von den Mitgliedern der französischen Expedition herausgegebene Werk „Description de l’Égypte“ mit den altägyptischen Denkmälern vertrauter wurde, anderseits ein unschätzbarer Fund, ein in drei Sprachen abgefaßtes Dekret, die richtige Entzifferung der H. ermöglichen zu wollen schien. Dieses wichtige Denkmal, die „Inschrift von Rosette“, befindet sich auf einer Granittafel, welche, 1799 durch einen französischen Ingenieur, Namens Bouchard, bei Rosette aufgefunden, beim Transport nach Frankreich den Engländern in die Hände fiel und jetzt im Britischen Museum aufbewahrt wird. Sie besteht aus drei Abteilungen, von denen die obere, nur halb erhaltene, hieroglyphische, die mittlere demotische und die untere griechische Schrift enthält. Die griechische Inschrift meldet, daß dem König Ptolemäos Epiphanes im 9. Jahr seiner Regierung (ca. 197 v. Chr.) von der ägyptischen Priesterschaft gewisse Ehrenbezeigungen bewilligt worden seien, und daß diese Bewilligung mit heiliger, demotischer und griechischer Schrift auf diesen Stein geschrieben worden sei. Hieraus ergab sich, daß die beiden obern Abteilungen in ägyptischer Schrift denselben Sinn ausdrückten wie die griechische, und man hatte nun einen festen Punkt, von welchem man bei Entzifferung der obern Abteilungen

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b8_s0517.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2021)