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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8

Formen, wie die flektierenden Sprachen; die Wurzel kann meist noch nominal, verbal oder adverbial aufgefaßt werden. Es gibt im Altägyptischen nicht besondere Formen für die Tempora, Modi und Kasus; auch wird das Aktiv kaum vom Passiv unterschieden; die grammatischen Beziehungen werden nur durch Partikeln ausgedrückt; die ägyptische Grammatik ist vorwaltend Syntax. Die ägyptische Sprache hat während der langen Dauer ihres Bestehens einige Veränderungen erfahren; einen von dem altägyptischen abweichenden Sprachcharakter zeigen schon die profanen Schriften der hieratischen Papyrus, welchen man neuägyptisch genannt hat. Weiter entwickelt ist die demotische Tochtersprache, die gleichfalls vorwaltend zu profanen Schriften verwandt wurde; aber erst im Koptischen, der Sprache der christlichen Ägypter, gelangt die Sprache zu der vollsten Entfaltung ihrer diakritischen Fähigkeiten. In der wissenschaftlichen Behandlung sind jedoch kaum die ersten Anfänge gemacht worden; die nötigsten Regeln gaben E. de Rougé in seiner „Chrestomathie égyptienne“ (Par. 1868), H. Brugsch in seiner „Hieroglyphischen Grammatik“ (Leipz. 1872) und P. Le Page Renouf in der seinigen („An elementary grammar of the ancient Egyptian language“, Lond. 1875). Eine Erklärung der den hieroglyphischen entsprechenden hieratischen Schriftzeichen veröffentlichte S. Levi („Raccolta dei segni ieratici egizj nelle diverse epoche con i correspondenti geroglifici e di loro differenti valori fonetici“, Tur. 1880). H. Brugsch hat auch eine „Grammaire démotique“ (Berl. 1855) veröffentlicht, das erste eingehendere Werk über diesen Dialekt, welches die vorangegangenen Arbeiten Youngs, Kosegartens, Leemans’, Hincks’, de Saulcys und de Rougés weit übertrifft. Erfreuliche Fortschritte in der Erkenntnis der altägyptischen Sprache wurden neuerdings von E. Révillout in seinen genialen demotischen Forschungen und von A. Erman in seiner „Neuägyptischen Grammatik“ (Leipz. 1880) gemacht. Neue Gesichtspunkte für die Behandlung der ägyptischen Sprache nach streng wissenschaftlicher Methode suchte die „Koptische Grammatik“ von L. Stern (Leipz. 1880) zu gewinnen. Die koptische Sprache ist das wichtigste Hilfsmittel zur Erklärung der H., da sie den nämlichen Wortschatz hat, der uns namentlich aus der Bibelübersetzung bekannt geworden ist. Theodor Benfey („Über das Verhältnis der ägyptischen Sprache zum semitischen Sprachstamm“, Leipz. 1844) wies nach, daß diese Sprache mit dem Semitischen Verwandtschaft und einen gemeinsamen Ursprung hat. Obwohl nun das Ägyptische sich vom Semitischen früh getrennt und einen andern Weg eingeschlagen hat, so bietet es doch in den Wurzeln und in der Bildung der Stämme so große Analogien mit dem asiatischen Sprachstamm, daß dieser, wenn mit Sachkenntnis und Mäßigung verglichen, ein Hilfsmittel bei der Interpretation der H. werden kann. Ob auch die indogermanischen Sprachen mit dem Ägyptischen und Semitischen verwandt sind, ist noch fraglich; beim heutigen Stande dieser Untersuchungen sind Vergleichungen auch dieses Sprachstammes mit dem Altägyptischen nicht angebracht. Den allmählichen Übergang des Altägyptischen zum Demotischen und weiter zum Koptischen in seinen drei Dialekten (dem unter-, ober- und mittelägyptischen) zur Anschauung zu bringen, bleibt einem künftigen Grammatiker noch vorbehalten. Vorläufig scheint die hieroglyphische Sprache noch alle Kräfte in Anspruch zu nehmen; die Schwierigkeiten derselben sind immer noch sehr erhebliche, denn obwohl man durch die Arbeiten Goodwins, Chabas’, Masperos, Brugsch’, Dümichens u. a. in den letzten Jahren sehr bedeutende Fortschritte gemacht hat, so ist doch fast kein Text ohne irgend eine crux interpretum, und zwar liegt die ganze Schwierigkeit im Wörterbuch. Das von Champollion zusammengestellte ist ein rühmlicher Anfang, der aber heute nicht mehr auf der Höhe der Wissenschaft steht; das von Birch veröffentlichte (in Bunsens „Egypt’s place in universal history“, Bd. 5, Lond. 1867) ist eine fleißige Arbeit, welche, kurz gefaßt, über 4000 Wörter nachweist; das von Brugsch herausgegebene „Hieroglyphische Wörterbuch“ (Leipz. 1867–68 und Fortsetzung 1880–82), den Wortschatz in ziemlicher Vollständigkeit umfassend und durch zahlreiche Beispiele erläuternd, ist vom größten Nutzen gewesen; auf diese beiden stützt sich in der Hauptsache das „Vocabulaire hiéroglyphique“ von Pierret (Par. 1875). Daß im einzelnen noch manches zweifelhaft bleibt, bedarf kaum der Erwähnung.

V. Altägyptische Litteratur.

Was nun die Litteratur betrifft, welche uns die Entzifferung der H. zugänglich gemacht hat, so ist sie durchaus so beschaffen, wie sie von einem so alten, am Althergebrachten zäh festhaltenden, in Aberglauben gebannten und ernsten Volk zu erwarten war. Die ganze Litteratur ist von der Religion oder Theologie so durchdrungen, daß sie fast unzertrennlich davon erscheint. Die Inschriften aller Tempel und die Texte der bei weitem meisten Papyrusrollen sind religiösen Inhalts und zwar theologisch oder mythologisch oder hymnologisch oder liturgisch. Die ältern Tempel sind die von Abydos, Theben, Abu Simbal in Nubien; die jüngern und an Inschriften fast unerschöpflichen die in Philä, Kom Ombo, Dendrah, Edfu, Esneh. Diese Tempel sind die Bethäuser der Könige; die verschiedenen Könige, welche einen Tempel erbaut oder ausgebaut haben, werden hier unzähligemal vor der Gottheit opfernd dargestellt; erläuternde Texte schließen sich an, und wir werden aufs genaueste über die Gründung und Weihung des Baues, über den Tempelritus und die priesterlichen Gebräuche unterrichtet. Dümichen („Altägyptische Tempelinschriften“, Leipz. 1867–68, 2 Bde.; „Resultate einer wissenschaftlichen Expedition“, Berl. 1871), Naville („Textes relatifs au mythe d’Horus“, Genf 1870), Mariette („Abydos“, Par. 1869–80, 2 Bde.; „Denderah“, das. 1870–73), de Rougé („Inscriptions hiéroglyphiques recueillies à Edfou“, das. 1880) und Brugsch („Reise nach der großen Oase El Khargeh in der Libyschen Wüste“, Leipz. 1878) haben viele dieser Inschriften veröffentlicht. Vgl. auch Dümichen, Baugeschichte des Denderah-Tempels und Beschreibung der einzelnen Teile des Bauwerkes (Straßb. 1877). Mariette, lange Jahre hindurch Direktor der Ausgrabungen in Ägypten und des Museums in Bulak, hat viele von Sand und Schutt bedeckte Denkmäler wieder an das Tageslicht gebracht, und vieles steckt wohl noch unter der Erde. Einen besonders reichen Ertrag hat ihm die Durchforschung der Nekropole von Abydos geliefert („Catalogue général des monuments d’Abydos découverts pendant les fouilles de cette ville“, Par. 1880). Die Darstellungen und Inschriften in den weiten, in die Felsen gehauenen Grabkammern, in welchen die Überlebenden Totenfeiern zu begehen pflegten, beschäftigen sich vorwaltend mit dem Leben nach dem Tod und mit der Unterwelt, so namentlich die riesigen Königsgräber in Theben (Bibán el Meluk); die Gräber der Privatleute der ältern

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b8_s0520.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2021)