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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8

einige Zeit später nach Guernsey zurück und veröffentlichte von hier aus 1852 das zermalmende Pamphlet „Napoléon le petit“ und 1853 die mit dem unerbittlichen Griffel eines Juvenal geschriebenen Gedichte „Les châtiments“, welche trotz des strengen kaiserlichen Verbots in unzähligen Exemplaren über ganz Frankreich verbreitet wurden und die fast beispiellose Popularität, deren sich der Dichter in der Folge erfreute, begründeten. In der Verbannung nahm Hugos Lyrik vorwiegend philosophische und zwar ausgesprochen pantheistische Tendenzen an, denen er seitdem in zahlreichen, an Wert ungleichen Dichtungen Ausdruck gegeben hat. Dahin gehören: „Les contemplations“ (1856, 2 Bde.); „Chansons des rues et des bois“ (1866); „La legende des siècles“, in kühnen, oft dunkeln Visionen alle Zeitalter und Formen der menschlichen Zivilisation umfassend (1869, zweite Serie 1877); „Le pape“ (1878); „Religions et religion“ (1879); „L’âne“ (1880), sämtlich in den Jahren des Exils entstanden. Auf dem Felde des Romans kultivierte er um diese Zeit die sozialen Fragen in: „Les misérables“ (1862, 10 Bde.), „Les travallieurs de la mer“ (1866, 3 Bde.) und „L’homme qui rit“ (1869, 4 Bde.). Außerdem entstand damals sein Buch „William Shakespeare“ (1864). Gegen das Kaiserreich bis zuletzt unversöhnlich, kehrte er erst nach dessen Sturz 1870 nach Paris zurück, beschenkte die belagerte Stadt mit zwei Geschützen und wurde im Februar 1871 in die Nationalversammlung von Bordeaux gewählt, wo er gegen den Friedensschluß protestierte, um bald darauf auszutreten. Bei einer zweiten Kandidatur 1872 in Paris unterlag er infolge seiner Sympathien für die Kommune, dagegen wurde er 1876 von den Vertretern der Hauptstadt in den Senat gewählt. Seit seiner Rückkehr publizierte er außer den schon erwähnten lyrisch-didaktischen Arbeiten: „L’année terrible“ (1872), voll von Rachedurst und den ausschweifendsten Zornergüssen gegen die Deutschen; „Quatre-vingt-treize“, einen in der Vendée spielenden historischen Roman (1874); „Mes fils“, Gedenkblatt für seine früh verstorbenen Söhne (1874); „Actes et paroles, 1870–72“, gesammelte Reden (1872); „Actes et paroles: Avant l’exil, pendant l’exil; depuis l’exil“ (1875–76, 3 Bde.; deutsch, Berl. 1875–77, 3 Bde.); „L’histoire d’un crime, dépositions d’un témoin“, die Geschichte des Staatsstreichs vom 2. Dez., nach persönlichen Erlebnissen erzählt (1877); „L’art d’être grand-père“, ein lyrisches Familienbild (1878), und „La pitié suprême“, ein Schlußplaidoyer für die Amnestie der Kommuneverbrecher (1879). Er starb 22. Mai 1885 in Paris.

H. ist in den Augen der Franzosen ihr größter und universellster Dichter. Was ihn insbesondere über die besten seiner Zeitgenossen erhebt, ist die bei Dichtern so seltene Eigenschaft: Kraft. Gewaltig ist er in der Schilderung menschlicher Leidenschaft wie großer Naturerscheinungen, in der Behandlung der nationalen Sprache, welche er nachgerade verjüngt hat, wie in der Struktur des spröden französischen Verses, den er um ungeahnte Modulationen bereichert hat. Auf der andern Seite kann H. den Hang des Romanen zum Überschwenglichen, Schwülstigen und Betäubenden, zum grob materiellen Effekt nie verleugnen. Das Einfache ist ihm nicht völlig versagt, doch liegt es seinem ganzen Naturell ferner. Humor ward ihm aber kaum verliehen, und witzig ist er nie gewesen. So versinnlicht H. in seiner öffentlichen wie in seiner schriftstellerischen Laufbahn die vollkommenste Form des Franzosen des 19. Jahrh. Der Vollständigkeit wegen sind von seinen Schriften noch nachzutragen: „Discours; œuvres oratoires et discours de l’exil“ (1853); „Les enfants, livre des mères“, Gedicht für die zarteste Jugend (1858); „John Brown“ (1859). Nach seinem Tod erschienen: „Théâtre en liberté“ (1886) und „La fin de Satan“ (1886). Seit 1837 war H. Offizier der Ehrenlegion. Eine Gesamtausgabe seiner Werke erschien 1880–85 in 46 Bänden. In deutscher Übersetzung hat man von ihm: „Sämtliche Werke, übersetzt von mehreren“ (3. Aufl., Stuttg. 1858–62, 21 Bde.); „Poetische Werke“, übersetzt von L. Seeger (unvollendet; das. 1860–62, 3 Bde.), und eine Auswahl von Hugos Gedichten, übersetzt von Freiligrath (Frankf. a. M. 1845). In „Victor H., raconté par un témoin de sa vie“ (1863) hat dem Dichter seine eigne Frau ein Denkmal gesetzt. Vgl. außerdem Rivet, Victor H. chez lui (1877); P. de Saint-Victor, Victor H. (1885); Barbou, V. H. et son temps (1881; deutsch von Weber, Leipz. 1881); Asseline, V. H. intime. Mémoires, poésies, correspondances, documents inédits (1885); Ulbach, La vie de V. H. (1886); Dannehl, Victor H. (Berl. 1886), u. Swinburne, A study of V. H. (Lond. 1886).

Von seinen Söhnen ist Charles Victor (geb. 1826), der an der Seite seines Vaters publizistisch wirkte und auch einige jetzt vergessene Romane schrieb, 15. März 1871 in Bordeaux, der zweite, François Victor (geb. 1828), Verfasser einer lobenswerten Übersetzung von Shakespeares sämtlichen Dramen und Sonetten, 25. Dez. 1873 in Paris gestorben.

Hugo Capet (von dem geistlichen Kleid Cappa, das er als Laienabt des Klosters St.-Martin in Tours trug), Stifter des kapetingischen Königshauses (s. Kapetinger), der älteste Sohn von Hugo 1) und Hedwig, der Schwester Kaiser Ottos I., erhielt nach seines Vaters Tod 956 das Herzogtum Francien nebst den Grafschaften Paris und Orléans. Nachdem schon unter der Regierung des Karolingers Ludwig V., über den er die Vormundschaft führte, die ganze königliche Gewalt in seinen Händen gelegen, ward er nach dessen Tod auf der Wahlversammlung der großen Kronvasallen in Noyon zum König von Frankreich erwählt und 3. Juli 987 in Reims gekrönt. Doch behielt auch das legitime Haus der Karolinger seine Anhänger, und mit deren Hilfe bemächtigte sich der Bruder Lothars II., Herzog Karl von Lothringen, der Feste Laon. Immer zahlreichere Freunde schlossen sich dem rechtmäßigen Thronprätendenten an, bis H., in verräterischem Einverständnis mit dem Bischof von Laon, Karl und dessen Neffen und Verbündeten, den Erzbischof Arnulf von Reims, in seine Gewalt bekam. Der Rest von Hugo Capets Regierung verstrich in vergeblichen Versuchen, das tief gesunkene königliche Ansehen wieder zu heben. Er starb 24. Okt. 996 im Alter von 57 Jahren, nachdem er schon 988 seinem Sohn Robert die Thronfolge gesichert hatte.

Hugo von Flavigny (spr. flawinji), geb. 1064, Mönch von St.-Vannes, seit 1085 zu Dijon, seit 1096 Abt von Flavigny bei Autun, von wo er durch seine Gegner 1099 verdrängt wurde, schloß sich der kaiserlichen Partei an, erhielt 1111 die Abtei Vannes und starb dort nach 1140. Er schrieb 1090–1102 eine Weltchronik, welche besonders die lothringische Geschichte ausführlich behandelt. Seine eigne Handschrift ist uns erhalten, u. danach ist die Chronik von Pertz herausgegeben („Monumenta Germaniae historica“, Bd. 8).

Hugo von Langenstein, Dichter, aus einem schwäb. Geschlecht, trat in den Deutschen Orden und verfaßte nach lateinischer Quelle die gereimte Legendendichtung von der heil. Martina, ein Werk, das er 1293

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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 8. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 774. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b8_s0774.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2021)