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verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 9

der Dinge durch den deutschen Krieg 1866 wollte er nicht anerkennen, trat vielmehr im Landtag wie in der von ihm begründeten Zeitung „Die Zukunft“ aufs entschiedenste der Politik der Regierung, der er regelmäßig das Budget verweigerte, entgegen, bekannte sich zuletzt zu republikanischen, ja antinationalen Grundsätzen, erklärte die Einigung Deutschlands für das Grab der Freiheit und wurde in seinen Ansichten um so schroffer, je mehr er sich vereinzelt sah. Beim Ausbruch des Kriegs 1870 wurde er als Stimmführer der internationalen Demokratie auf Befehl Vogel v. Falckensteins verhaftet und einige Zeit in der Festung Lötzen interniert. Er erklärte sich auch sofort gegen die Annexion von Elsaß-Lothringen. Einer Niederlage in seinem Berliner Wahlkreis bei den Neuwahlen 1871 beugte er durch Ablehnung der Kandidatur vor und zog sich ganz vom politischen Leben zurück, für das er infolge seiner eigensinnigen Rechthaberei alles Verständnis verloren hatte. J. starb 6. März 1877 in Königsberg. Er veröffentlichte: „Gesammelte Schriften und Reden“ (Hamb. 1872, 2. Bde.; Nachträge 1877). Aus seinem Nachlaß gab Rühl heraus: „Geist der griechischen Geschichte“ (Berl. 1884).

2) Louis, Kupferstecher, geb. 7. Juni 1828 zu Havelberg, bildete sich seit 1844 im Atelier Mandels in Berlin. Sein erster Stich war 1850 der heil. Johannes nach Tiarini. Es folgten: die Geschichte und die Sage und die Hunnenschlacht nach Kaulbachs Wandgemälden im Neuen Museum zu Berlin. 1855 ging er nach Paris, 1856 nach Spanien und 1860 nach Italien, wo er sich 2½ Jahre in Rom aufhielt. 1863 ward er Professor der Kupferstecherkunst an der Wiener Akademie und begann nun seine Hauptarbeit: die Schule von Athen nach Raffael, zu welcher er eine Zeichnung in Rom gemacht hatte, und die er erst 1882 vollendete. Von seinen übrigen Stichen sind hervorzuheben: die Porträte des österreichischen Kaiserpaars nach Winterhalter, die von Rokitansky, Olfers, Ritter, Cornelius, Guhl, Th. Mommsen, Henzen, Grillparzer, Brücke, dem General de la Motte-Fouqué (nach Pesne), dem Grafen York v. Wartenburg (nach einer Büste Rauchs, für Droysens Lebensbeschreibung Yorks), Lady Macbeth nachtwandelnd (zu Kaulbachs Shakespeare-Galerie). 1882 wurde er nach Berlin als artistischer Beirat der Reichsdruckerei berufen.

3) Hermann, protest. Theolog, geb. 30. Dez. 1836 zu Berlin, studierte daselbst und wurde, nachdem er das Predigerseminar in Wittenberg besucht, als Gymnasiallehrer zu Landsberg a. W., in Stendal und seit 1866 als Diakonus in Schloß Heldrungen thätig gewesen war, 1868 ordentlicher Professor der praktischen Theologie in Königsberg, seit 1871 zugleich Universitätsprediger. Aus seinen Veröffentlichungen sind hervorzuheben: „Zwei evangelische Lebensbilder aus der katholischen Kirche“ (Fürstin Gallitzin und Bischof Sailer, Bielef. 1864); „Liturgik der Reformatoren“ (Gotha 1871–76, 2 Bde.); „Die Gestalt des evangelischen Hauptgottesdienstes“ (das. 1879); „Allgemeine Pädagogik auf Grund der christlichen Ethik“ (das. 1883); „Luthers vorreformatorische Predigt“ (Königsb. 1883).

Jacopōne da Todi (Jacobus de Benedictis), ital. Dichter, geboren um die Mitte des 13. Jahrh. zu Todi im Herzogtum Spoleto (daher auch Tudertinus), stammte aus dem edlen Geschlecht der Benedetti und lebte als reicher und angesehener Advokat in Rom, bis ihn der plötzliche Tod seiner Gattin bewog, in den Orden der Franziskaner zu treten. Wegen seiner Opposition gegen Bonifacius VIII. wurde er von diesem 1302 zu Palestrina in den Kerker geworfen, in dem er bis zum Tode des Papstes schmachtete. Später lebte er in strenger Askese in seiner Vaterstadt, wo er 1306 starb und in der Fortunatuskirche begraben ward. Seine teils rohen, teils gefühlswarmen, häufig eindringlichen und schwungreichen Gedichte (darunter beißende Satiren auf Bonifacius VIII. in der Lingua volgare) lebten im Munde des Volkes. Das bei weitem bedeutendste derselben ist die berühmte, bereits im 13. Jahrh. ihm allgemein zugeschriebene Osterhymne „Stabat mater“, nächst dem „Dies irae“ das ergreifendste und zugleich volkstümlichste Produkt der mittelalterlichen Kirchendichtung. Zuerst 1490 zu Florenz gedruckt, erlebten seine „Poesie“ zahlreiche Auflagen; deutsch von Julius (Münster 1853). Vgl. Ozanam, Les poètes franciscains en Italie (Par. 1852); eine Übersetzung ausgewählter Gedichte gaben Schlüter und Storck (Münster 1864).

Jacotot (spr. schakotoh), Jean Joseph, Begründer der nach ihm benannten Unterrichtsmethode (Jacototsche Methode), geb. 4. März 1770 zu Dijon, wurde im dortigen Collège gebildet. In wechselvoller Laufbahn war er der Reihe nach Anwalt, Professor der Humanitätswissenschaften, Kapitän der Artillerie, Sekretär im Kriegsministerium, Substitut des Direktors der polytechnischen Schule und Professor der Mathematik an derselben, zuletzt Professor der französischen Sprache und Litteratur in Löwen, von wo er sich 1830 nach Frankreich zurückzog. Er starb 31. Juli 1840 in Paris. Seit 1818 trat er in Löwen mit seiner Methode des Universalunterrichts hervor, die viele Anhänger, besonders in Belgien, Frankreich und der Schweiz, aber auch gewichtige Gegner, namentlich in Deutschland (Alberti, Chr. Schwarz u. a.), fand. Seine Grundsätze klingen paradox. Er geht von den Sätzen aus: „Alle Menschen haben gleiche Intelligenz“ und „Alles ist in allem“. Dennoch liegt in ihnen viel Wahres, sofern es sich einerseits um gesunde, normal entwickelte Menschen und anderseits um die Grundelemente alles Erkennens handelt. Am deutlichsten tritt dies in seiner Methode des ersten Sprachunterrichts hervor, die auch am vollkommensten entwickelt ist. Er wählt für diesen den Weg der Analyse, indem er den Schüler nicht zunächst Buchstaben kennen lehrt und zu Silben, diese aber zu Wörtern, Sätzen etc. zusammensetzen läßt, sondern gerade umgekehrt, von einem auswendig gelernten kurzen Satz ausgehend, zu Wörtern, Silben, Lauten gelangt. Damit soll zugleich der Schreibunterricht und die sachliche Besprechung des Inhalts verbunden werden, so wie auch der eigentliche Sprachunterricht, ohne Anwendung einer Grammatik, an sie geknüpft wird. In Deutschland fand die Leselehrmethode Jacotots seit 1840 Eingang durch Seltzsam in Breslau und später in etwas veränderter Gestalt (auf Normalwörter begründet) durch Vogel in Leipzig, der selbständig zu ähnlichen Grundsätzen wie J. gelangt war. In dieser veränderten Gestalt ist sie weit verbreitet unter dem Namen der Normalwörter-, Vogel-Böhmeschen oder Kehr-Schlimbachschen Methode. Jacotots „Méthode d’enseignement universel“ wurde mehrfach übersetzt, z. B. von Braubach (Marb. 1830, mit Erläuterungen) und in Auswahl von Göring (Wien 1883).

Jacq., bei naturwissenschaftl. Namen Abkürzung für Joseph Franz Jacquin, geb. 1766 zu Schemnitz, gest. 1839 als Professor der Botanik und Chemie in Wien; oder für N. J. Jacquin (s. d.).

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Meyers Konversations-Lexikon, 4. Auflage, Band 9. Bibliographisches Institut, Leipzig 1887, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_b9_s0119.jpg&oldid=- (Version vom 20.7.2021)