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Sein Nachbar lag regungslos, die Decke über dem Gesicht, schon seit Tagen besinnungslos mit einer Schädeltrepanation.

Nur zwei schauten auf und begriffen.

Der eine von den beiden richtete sich mühsam ein wenig im Bett auf, streckte den Arm nach den Lichtern und sagte: „Christkind —“

In den anderen Zimmern ging es besser. wir beschenkten die Mannschaften mit Wäsche, Zwieback und Zigaretten, sie waren gut und dankbar für jede Kleinigkeit und bemühten sich, heiter zu sein. Ein älterer Landsturmmann war dabei, der monatelang mit einem schweren Bauchschuß gelegen war und nur durch die aufopfernde Behandlung unseres Direktors dem Leben erhalten blieb. Er hatte Frau und Kinder daheim und hatte sein ganzes Herz an den Gedanken geklammert, zu Weihnachten daheim zu sein. Der schlich sich davon, stand am kalten finsteren Gang beim offenen Fenster und weinte bitterlich.

Die verwundeten Offiziere hielten sich tapfer, scherzten. Aber es zuckte um manchen Mundwinkel in verhaltenem Schmerz, wie das „Stille Nacht, heilige Nacht —“ zu dem Lichterbaum aufschwebte. Manche Hand krampfte sich in die Decke.

„Der Friede sei mit euch —!“


Przemysl, den 27. Dezember 1914,
     am 50. Tag der 2. Belagerung.

Unsere eigene kleine Weihnachtsfeier zu zweit war still und schön. Wir zündeten unseren Baum erst am Abend des ersten Weihnachtsfeiertages an. Am Heiligen Abend waren wir beide im Spital beschäftigt, Emil in dem seinem und ich in dem meinen. Wir

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 97. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/107&oldid=- (Version vom 1.8.2018)