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lange suchen, bis ich jemanden finde, der deutsch spricht. Endlich ist alles in Ordnung. Alle Wagen sind von Schlafenden überfüllt. Ich gerate in ein Abteil polnischer Geistlicher und drücke mich in die letzte freie Ecke. Langsam und eiskalt graut der Tag. Wie die Sonne aufgeht, stehen alle Wiesen in silbrigem Rauhreif.

Nachmittags um 5 Uhr soll ich nach Przemysl kommen. Später, wie der Zug sich leert, bekomme ich ein Abteil allein und fahre gut, nur endlos langsam. Ich esse schon den zweiten Tag nur kaltes Fleisch, denn unsere Mittagsstationen sind so wenig einladend, daß ich, trotz meines Hungers, den Löffel wieder aus der Hand lege und gehe.

In Rzeszow kommt ein Telegramm. Der Zug kann nicht mehr bis Lemberg laufen, Lemberg ist in russischen Händen. Endstation Przemysl.

Ich fühle nur das eine, daß es die höchste Zeit war, daß ich kam. Ein unendliches Glücksbewußtsein ist in mir, eine große, starke Zuversicht und Ruhe. Ich denke an meinen Mann, der mich in Przemysl erwartet.

Erst bei Zurawica, der letzten Station vor Przemysl, hat man das Gefühl, in den Krieg hineinzufahren, hier gibt es riesige Zeltlager; Schanzen werden aufgeworfen, und im Weiterfahren gewahrt man vielreihige Stacheldrahthindernisse. Ab und zu tut man einen Blick in unterirdische Laufgräben und Befestigungen, und aus ganz harmlos scheinendem Buschwerk droht plötzlich die Mündung eines hier eingegrabenen, schweren Geschützes.

Endlich Przemysl. Mein Mann ist nicht auf dem Bahnhof, weil er nicht wußte, wann der Zug kommt. Hier dauert es noch eine halbe Stunde, bis alle Formalitäten

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)