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Przemysl, den 3. Mai 1915.

Jeden Tag hoffe ich, meinen Paß zu bekommen und muß mich immer wieder gedulden. Die Evakuierung der Juden schiebt jetzt alles andere hinaus. Die Russen machen bekannt, daß in einer russischen Festung keine Juden sein dürfen und daß daher die gesamte israelitische Bevölkerung innerhalb acht Tagen Przemysl zu verlassen hat, widrigenfalls zu Gewaltmitteln gegriffen werden müßte. Einstweilen ist auch ein großer Teil der Juden bereits einzeln weggeschickt worden.

Die Stellen, wo die Passierscheine nach Lemberg ausgegeben werden, sind vom Morgen bis zum Abend so belagert, daß an ein Hineinkommen gar nicht zu denken ist.

Von meinem Mann noch keine Zeile, obwohl ich weiß, daß er keine Gelegenheit, mir zu schreiben, vorbeigehen läßt! Das ist qualvoll hart. Ich muß meine allerletzte Kraft zusammenraffen, um mich oben zu erhalten. Ich darf jetzt nicht zusammenbrechen, um seinetwillen, denn breche ich zusammen, so schlingt mich der Strudel hinab.

Przemysl, den 8. Mai 1915.

Ich packe ein. Morgen früh soll ich meinen Reisepaß bekommen. Schwester Mania begleitet mich bis Wien.

Wie furchtbar anders ist dieser Abschied von Przemysl, als ich ihn mir einst geträumt!

Und dennoch! Nicht wahr, du, wenn man uns heute vor die Wahl stellte: Seid ihr bereit, die tausend Schmerzen, die eure Seele hier bluten gemacht, noch einmal auf euch zu nehmen, alle Herzensqual und Todesnot? Wir denken nur der großen, flammenden

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/181&oldid=- (Version vom 1.8.2018)