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sperren sie die Geschäfte wieder auf. Ich ging wieder in die Jagellonska und sah mir die Sache an. Das kleine, niedrige, vernachlässigte alte Haus ist das „Bethaus“, wo die streng orthodoxen Juden ihren Gottesdienst halten. Es sind fast nur Greise. In die alte weiße Synagoge mit der Säulenhalle, die unmittelbar daneben steht, gehen auch orthodoxe Juden, aber sie sind nicht mehr so strenggläubig. In dem großen Tempel aus rotem Backstein dagegen beten die modernen, liberalen Juden, die Freigeister sozusagen. Da sah ich sogar einen mit Kaftan und hohem Zylinder, was sehr merkwürdig aussah.

Auch im Festungsspital hatte man den jüdischen Mannschaften ein Zimmer zur Abhaltung ihrer Gebete am Neujahrsfest zur Verfügung gestellt. Mein Mann fragte, ob sie nicht einen Rabbiner hier hätten? „Den brauchen wir nicht,“ sagte ein jüdischer Soldat. „Der Rabbiner predigt nur, aber beten können wir allein.“ Es waren einige Vorbeter unter ihnen, und der eine davon brachte eine Gesetzestafel Moses mit, die er von seinem Vater geerbt hat. Vor dieser Gesetzestafel beteten sie.

Es erscheint hier auch eine jüdische Zeitung in hebräischer Schrift.

Es regnet — regnet — regnet — der Geschützdonner hat aufgehört. Man lauscht mit allen Sinnen in diese nahe Ferne hinaus, wo die eisernen Würfel fallen.


Przemysl, den 24. September 1914.

Die ganze Nacht von vorgestern auf gestern währte das Geschützfeuer, bis in den Vormittag hinein. Dann war es still bis zum Abend. Wir saßen gerade beim Nachtmahl, da fiel der erste Schuß. In der vergangenen Nacht soll man es noch bis Mitternacht gehört haben.

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/34&oldid=- (Version vom 1.8.2018)