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weg. Heute wurde auch keine Feldpost mehr angenommen.

Seit einigen Tagen gehe ich jeden Nachmittag ins Spital. Wie ich das erstemal hinaufkam, bat ich den Sanitätssoldaten, mich zu denen zu führen, die sprechen und rauchen dürfen, denn ich hatte ihnen Zigaretten mitgebracht. Einstweilen hatte er schon die Tür zu dem Zimmer der Hoffnungslosen geöffnet, und ich warf einen Blick hinein.

Da lagen sie, die Gesichter mit weißen Tüchern bedeckt, und der, der der Tür am nächsten war, wand sich und röchelte, daß das ganze Stiegenhaus davon erfüllt war. Jeden Tag höre ich ihn wieder, wenn ich an dieser Tür vorbeikomme.

Jedes Wort verstummt hier.

Gott erlöse sie!


Przemysl, den 29. September 1914,
     am 12. Tag der Absperrung.

Gestern abends wurde ich mitten im Wort unterbrochen, mein Mann kam nach Hause. Er ging rasch über den Gang, es wetterte schauerlich, und er rief mir durch die Tür zu, schnell aufzusperren. Im selben Augenblick wußte ich aus seiner Stimme, daß irgend etwas vorgefallen war.

Er hing den triefenden Mantel an den Rechen. Dann nahm er mein Gesicht in seine beiden Hände:

„Wirst du tapfer sein?“ fragte er leise, „nicht wahr, du bist es?“

„Was gibt es?“ Meine Stimme war hart und kalt vor zurückgehaltener Erregung.

„Ich bin nach Krowniki kommandiert, eine Stunde von hier — in — die Cholerabaracken —“

Ich meinte, das Herz müsse mir stillestehen.

Empfohlene Zitierweise:
Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/39&oldid=- (Version vom 1.8.2018)