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ruhige Stunde haben, bevor er nicht gesund wieder hier ist!

Der Vormittag wurde besser. Ich ging aus, kaufte mir etwas zu lesen, damit diese Tage rascher vergehen. Auch die Blumen stehen auf dem Tisch und warten darauf zu feiern. Ich schaue sie oft an, und sie sind ein lieber, heller Fleck in der grauen Öde des frostigen Regentages.

Seit zwei Tagen gehe ich nicht ins Spital. Da der Mann von den Cholerabaracken hier war, fürchte ich eine Ansteckung hinauf verschleppen zu können. Auch wenn Emil kommt, muß ich Quarantäne halten.

Endlich zu Mittag ein Lichtblick. Allerdings zum Teil noch unverbürgtes Gerücht. Man erwartet schon seit einigen Tagen die Armee zum Entsatz von Przemysl. Heute nacht soll nun ein großer Zusammenstoß stattgefunden haben. Man erzählt auch, daß in den letzten drei Tagen mehr als 20 000 Russen bei Przemysl gefallen seien. Tatsache ist, daß man heute früh über 200 russische Gefangene brachte; was aber viel bedeutungsvoller ist: die Strecke nach Dynow ist vom Feinde gesäubert und die Feldpost verkehrt wieder per Automobil dorthin. Das ist eine große, große Freude! Man trifft auch in der Festung umfassende Maßnahmen für Einquartierung und Verproviantierung der erwarteten Armee. Also sind wir nach einer Seite hin wieder frei! Das ist ein herrliches Gefühl! Alle Gesichter sind hell geworden.

Erst wenn dieser furchtbare Druck von uns genommen sein wird, werden wir wissen, wie schwer er auf uns gelastet hat! Unter der Wucht der Ereignisse kommt man keinen Augenblick zur Besinnung und erst wenn alles vorüber sein wird, werden wir ganz begreifen.

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/55&oldid=- (Version vom 1.8.2018)