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verloren gegangene Kinder aus den Dörfern herein.

Da saß mitten im Schrapnellregen ein dreijähriger Junge mutterseelenallein, lachend und spielend im Feld. Die Soldaten, die ihn fanden, konnten nichts weiter aus ihm herausbringen als: „Babbo, Amerika!“ Man brachte den Kleinen einstweilen ins städtische Waisenhaus und später will man ihn in eine Militärerziehungsanstalt geben.

Ein anderer elfjähriger Junge ist fast täglich in Felduniform bei unseren Mannschaften zu sehen, wie er mit ihnen Menage fassen geht. Sein Vater ist Offizier, steht im Feld. Bei der Räumung Lembergs wollte die Mutter mit dem Kleinen aus Lemberg flüchten und erlag vor Aufregung am Bahnhof einem Schlaganfall. Nun vertritt einstweilen das Offizierskorps Vaterstelle an ihm.

Die Waisenhäuser sind voll von Kindern, die auf der Flucht ihre Eltern verloren haben. Ab und zu bringt man verwundete Kinder aus den Dörfern in die Spitäler herein.

Przemysl, den 13.November 1914,
     am 7. Tag der 2. Belagerung.

Heute war ich bei Sonnenuntergang auf dem Schloßberg. Es war ein düster-prächtiges Bild. Das Tal lag flußaufwärts in tiefvioletten Tinten. Dahinter stand der Himmel in dunklem Rot. In jeder Windung des San glomm dieses Rot auf wie Blut. Ein paar Gipfel türmten sich auf, von Wolken umdräut. Und im äußersten Westen ragten die Schanzen des Schloßberges in einen hellgelben Himmel. Ein Maeterlinck-Schloß — das Schloß des Tintageles, schwarz, überlebensgroß

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 64. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/74&oldid=- (Version vom 1.8.2018)