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Przemysl, den 24. November 1914,
     am 17. Tag der 2. Belagerung.

Eine Honvedkapelle marschiert auf den Ringplatz. Sie macht halt, reiht sich zu einem Kreis, und der Kapellmeister tritt in die Mitte.

Er hebt den Taktstock, die Musik setzt ein. Warm und voll schmettern die Klänge eines Marsches über den Ringplatz. Die Finger der Honveds sind steif von der kalten Luft. Aber in ihrer Musik ist das Feuer des Ungarn.

Monatelang hat die Festung keine Musik mehr gehört. Seit Ausbruch des Krieges spielt keine Militärmusik. Nun locken diese Klänge aus allen Gassen die Menschen. Wer zum Ringplatz geht, beschleunigt den Schritt. Und wer in entgegengesetzter Richtung geht, macht kehrt. Erst geht ein Verwundern, dann ein Aufblitzen von Freude über die Gesichter. Es wird zum Lächeln im Weitergehen. Es ist als ob ein mächtiger Magnet aus allen Gassen die Menschen an sich sauge. Sie stürzen in eiligen Scharen aus allen Straßen, die auf den Ringplatz münden. Und man wundert sich, daß noch so viele in der belagerten Festung sind.

Auf dem Platz, rings um die Musik, drängen sich die grauen Felduniformen. Dazwischen eingesprengt ein Häuflein Zivil, die wenigen Beamten, die hier geblieben sind. Viele schwarze Kaftans, die Marderkappen der Juden und hier und dort ein paar blaubemützte Gymnasiasten.

Einige wenige Damen; alle anderen haben bei Ausbruch des Krieges die Festung verlassen. Ab und zu noch ein elegantes Kostüm, ein kostbarer Pelz. Daneben das billige Feiertagsfähnchen der Arbeiterin, getragen mit dem Schick der Polin. Viele von ihnen,

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Ilka von Michaelsburg: Im belagerten Przemysl. C. F. Amelang, Leipzig 1915, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:MichaelsburgImBelagertenPrzemysl.pdf/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)