Seite:Moerike Schriften 2 (1878) 065.jpg

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Armbrust einmal zu versuchen, und ob sie gleich ganz abscheulich fehlschoß, ja sogar den Rufer blutig verletzte, so schrie derselbe doch, anständig seinen Schmerz verbeißend, mit lauter Stimme: „Zwölf in die Minut’!“ was dießmal ausnahmsweise noch höher als das Schwarze galt. Unmäßiger Beifall erscholl aus den Reihen, derweil der Göckel sich insgeheim den Pfeil aus seinem Schwanze zog. Ich konnte mich des Lachens nicht enthalten. Mein Feldmesser raunte mir zu: auf die Scheibe sei der König nie glücklich gewesen; vor zwei Jahren sei der gleiche Fall begegnet und man wolle wissen, es habe damals der Monarch, als ihm sein Hofnarr die wahre Bewandtniß mit dem Meisterschuß in’s Ohr gesagt, die edle Delicatesse des Thurmhahns so wohl vermerket, daß er desselben allerunterthänigstes Gesuch, ihm seine unscheinbar gewordene Vergoldung erneuern zu lassen, nicht nur ohne Weiters bewilligt, sondern ihm überdieß Titel und Rang eines geheimen Wetter- und Kirchenraths gnädigst verliehen habe.

Nun aber setzte sich der Hof zu Tische, und da war ich es leider selbst, welcher die ganze Herrlichkeit verstörte. Ich konnte nämlich bei andauerdem entsetzlichem Durste unmöglich der Versuchung widerstehn, den Arm in’s Thal hinab zu strecken, und mir eine der größten, mit rothem Most gefüllten Kufen heraufzulangen,

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_065.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)