Seite:Moerike Schriften 2 (1878) 090.jpg

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Herr Peter hatte nämlich in folgender Nacht einige Reisende beherbergt, Handelsherren, die mit anbrechendem Tage weiter wollten. Der Wirth war aufgestanden; er reichte ihnen zwischen dem Frühstück gefällig die neueste Zeitung und Einer trug daraus das Merkwürdigste vor, unter Anderm einen ellenlangen Steckbrief, der viel Aufsehen erregte. Der Wirth geht eben durch das Zimmer, steht still und spitzt die Ohren; er ist von dem Signalement frappirt; er lies’t mit eigenen Augen, wird plötzlich Feuer und Flamme und rennt mit dem Blatte davon – zum Schulzen, seinem Vater. Der, weil er eben unpaß ist, überträgt die Sache dem Sohn, auf den er sich verlassen kann. In weniger als einer halben Stunde war meine Aufhebung erfolgt. – Daß ich nachher denselben Menschen, welcher mit solcher Zuversicht die Schergen wider mich aufbot, noch immer als den Dieb ansehen und behandeln konnte, war freilich eine Unbesonnenheit, die nur der blinde Drang des Augenblicks verzeihlich machte. Ich meinerseits indessen war nicht einmal geneigt, mir den Irrthum so sehr zu Herzen zu nehmen, besonders da ich gar wohl merkte, daß unser guter Schatzkästleins-Patron, welcher von vornherein der Sache auf den Grund gesehen, dem schadenfrohen Kauzen eine vorübergehende Demüthigung – er saß zwei ganze Tage zur Untersuchung

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_090.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)