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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

Kopf und lauter Flüchen zwischen den Zähnen. Der Hansel sonderlich hatte sehr böse Zeit, dazu noch bittern Hunger, und wenn ihm oft im Stall die Knochen alle weh thaten von allzuharter Arbeit, sprach er wohl einmal vor sich hin: ich wollt’, es holte mich ein Dieb, den würd’ ich sanft wegtragen!

Es hatte aber der Bauer einen herzguten Jungen, Frieder mit Namen, der that dem armen Thier alle Liebe. Wenn die Stallthür aufging, etwas leiser wie sonst, drehte der Hansel gleich den müden Kopf herum, zu sehn, ob es der Frieder sei, der ihm heimlich sein Morgen- oder Vesperbrod brachte. So kommt der Junge auch einmal hinein, erschrickt aber nicht wenig: denn auf des Braunen seinem Rücken sitzt ein schöner Mädchen-Engel mit einem silberhellen Rock und einem Wiesenblumenkranz im gelben Haar und streicht dem Hansel die Bückel und Beulen glatt mit seiner weißen Hand. Der Engel sieht den Frieder an und spricht:

„Dem wackern Hansel geht’s noch gut,
Wenn ihn die Königsfrau reiten thut.
Arm Frieder.
Wird Ziegenhüter,
Kriegt aber Ueberfluß,
Wenn er schüttelt die Nuß,
Wenn er schüttelt die Nuß!“

Solches gesagt, verschwand der Engel wieder und war nicht mehr da. Den Knaben überlief’s, er huschte

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 254. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_254.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)