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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

hurtig aus der Thür. Als er aber den Worten, die er vernommen, weiter nachsann, ward er fast traurig. „Ach!“ dachte er, „der Ziegenbub vom Flecken sein, das ist doch gar ein faul und ärmlichs Leben, da kann ich meiner Mutter nicht das Salz in die Suppe verdienen. Aber Nüss’? woher? In meines Vaters Garten wachsen keine; und wenn ich sie auch ganzer Säcke voll schütteln sollte, wie der Engel verheißt, davon wird Niemand satt. Ich weiß, was ich thun will, wann ich die Ziegen hüten muß: ich sammle Besenreissig nebenher und lerne Besen binden, da schafft sich doch ein Kreuzer.“ Solche Gedanken hatte Frieder jenen ganzen Tag, sogar in der Schule und schaute darein wie ein Träumer. „Wie viel ist sechs mal sechs?“ fragte der Schulmeister bei’m Einmaleins. „Nun, Frieder, was geht dir heut im Kopf herum? schwätz!“ Der Bub, voll Schrecken, wußte nicht, sollt’ er sagen: Besenreissig, oder: sechs und dreißig, denn eigentlich war Beides richtig; er sagte aber: „Besenreissig!“ Da gab es ein Gelächter, daß alle Fenster klirrten, und blieb noch lang ein Sprichwort in der Schule, wenn Einer in Gedanken saß: der hat Besenreissig im Kopf.

In der Nacht konnte Frieder nicht schlafen. Einmal kam es ihm vor, als sei es im Hof nicht geheuer; er richtete sich auf und sah durch’s Fenster

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 255. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_255.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)