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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

kaum mehr Etwas gehört; ich hätte aber wohl, auch ohne auf eine so traurige Art, wie eben geschah, an die Familie erinnert zu werden, in keinem Fall versäumt sie aufzusuchen. Ich ward, was des Mädchens Vergehen betrifft, aus dem Gespräch der Herren nicht klug, die sich nun überdieß entfernten; da ich jedoch den Prediger S., einen Bekannten meines väterlichen Hauses, als Beichtiger der Inquisitin hatte nennen hören, so sollte ein Besuch bei ihm mein erster Ausgang sein, das Nähere der Sache zu vernehmen.

Herr S. empfing mich mit herzlicher Freude, und so bald es nur schicklich war bracht’ ich mein Anliegen vor. Er zuckte die Achsel, seine freundliche Miene trübte sich plötzlich. „Das ist,“ sagte er, „eine böse Geschichte, und noch bis jetzt für Jedermann ein Räthsel. So viel ich selber davon weiß, erzähl’ ich Ihnen gerne.“

Was er mir sofort sagte gebe ich hier, berichtigt und ergänzt durch anderweitige Eröffnungen, die mir erst in der Folge aus unmittelbarer Quelle geworden.

Die zwei verwais’ten Töchter des alten Gelmeroth fanden ihr gemeinschaftliches Brod durch feine weibliche Handarbeit. Die jüngere, Lucie, hing an ihrer, nur um wenig ältern, Schwester Anna mit der zärtlichsten Liebe, und sie verlebten, in dem Hinterhause der vormaligen Wohnung ihrer Eltern, einen Tag

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_283.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)