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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen

ohne alle Schuld sein könne, doch den ungleich wichtigern Antheil von Mitschuldigen ängstlich unterdrücke. Uebrigens hieß es bald unter dem Volk: sie habe mit dem Lieutenant öfters heimliche Zusammenkünfte am dritten Orte gepflogen, sie habe ihm Liebe und Wollust geheuchelt und ihn nach jenem Garten arglistig in den Tod gelockt.

Inzwischen sperrte man das sonderbare Mädchen ein und hoffte ihr auf diesem Weg in Bälde ein umfassendes Bekenntniß abzunöthigen. Man irrte sehr; sie hüllte sich in hartnäckiges Schweigen, und weder List, noch Bitten, noch Drohung vermochten Etwas. Da man bemerkte, wie ganz und einzig ihre Seele von dem Verlangen zu sterben erfüllt sei, so wollte man ihr hauptsächlich durch die wiederholte Vorstellung beikommen, daß sie auf diese Weise ihren Prozeß niemals beendigt sehen würde; allein man konnte sie dadurch zwar ängstigen und völlig außer sich bringen, doch ohne das Geringste weiter von ihr zu erhalten.

Noch sagte mir Herr S., daß ein gewisser Hauptmann Ostenegg, ein Bekannter des Lieutenants, sich unmittelbar auf Luciens Einsetzung entfernt und durch Verschiedenes verdächtig gemacht haben solle; es sei sogleich nach ihm gefahndet worden, und gestern

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Eduard Mörike: Gesammelte Schriften. 2. Band: Erzählungen. G. J. Göschen, Stuttgart 1878, Seite 289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Moerike_Schriften_2_(1878)_289.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2018)