Seite:Morgenblatt fuer gebildete Leser 1842 387.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

ein Kobold. – „Mutter – es pocht draußen!“ – „Still, Fritzchen, das ist das lockere Brett im Giebel, das der Wind jagt.“ – „Nein, Mutter, an der Thür!“ – „Sie schließt nicht; die Klinke ist zerbrochen. Gott, schlaf doch! bring mich nicht um das armselige Bischen Nachtruhe.“ – „Aber wenn nun der Vater kommt?“ – Die Mutter drehte sich heftig im Bett um. – „Den hält der Teufel fest genug!“ – „Wo ist der Teufel, Mutter?“ – „Wart du Unrast! er steht vor der Thür und will dich holen, wenn du nicht ruhig bist!“

Friedrich ward still; er horchte noch ein Weilchen und schlief dann ein. Nach einigen Stunden erwachte er. Der Wind hatte sich gewendet und zischte jezt wie eine Schlange durch die Fensterritze an seinem Ohr. Seine Schulter war erstarrt; er kroch tief unter’s Deckbett und lag aus Furcht ganz still. Nach einer Weile bemerkte er, daß die Mutter auch nicht schlief. Er hörte sie weinen und mitunter: „Gegrüßt seyst du, Maria!“ und: „bitte für uns arme Sünder!“ Die Kügelchen des Rosenkranzes glitten an seinem Gesicht hin. – Ein unwillkührlicher Seufzer entfuhr ihm. – „Friedrich, bist du wach?“ – „Ja, Mutter.“ – „Kind, bete ein wenig – du kannst ja schon das halbe Vaterunser – daß Gott uns bewahre vor Wasser- und Feuersnoth.“

Friedrich dachte an den Teufel, wie der wohl aussehen möge. Das mannigfache Geräusch und Getöse im Hause kam ihm wunderlich vor. Er meinte, es müsse etwas Lebendiges drinnen seyn und draußen auch. „Hör’, Mutter, gewiß, da sind Leute, die pochen.“ – „Ach nein, Kind; aber es ist kein altes Brett im Hause, das nicht klappert.“ – „Hör’! hörst du nicht? es ruft! hör’ doch!“

Die Mutter richtete sich auf; das Toben des Sturms ließ einen Augenblick nach. Man hörte deutlich an den Fensterläden pochen und mehrere Stimmen: „Margreth! Frau Margreth, heda, aufgemacht!“ – Margreth stieß einen heftigen Laut aus: „Da bringen sie mir das Schwein wieder!“

Der Rosenkranz flog klappernd auf den Brettstuhl, die Kleider wurden herbeigerissen. Sie fuhr zum Herde und bald darauf hörte Friedrich sie mit trotzigen Schritten über die Tenne gehen. Margreth kam gar nicht wieder; aber in der Küche war viel Gemurmel und fremde Stimmen. Zweimal kam ein fremder Mann in die Kammer und schien ängstlich etwas zu suchen. Mit einemmale ward eine Lampe hereingebracht. Zwei Männer führten die Mutter. Sie war weiß wie Kreide und hatte die Augen geschlossen. Friedrich meinte, sie sey todt; er erhob ein fürchterliches Geschrei, worauf ihm Jemand eine Ohrfeige gab, was ihn zur Ruhe brachte, und nun begriff er nach und nach aus den Reden der Umstehenden, daß der Vater von Ohm Franz Semmler und dem Hülsmeyer todt im Holze gefunden sey und jezt in der Küche liege.

Sobald Margreth wieder zur Besinnung kam, suchte sie die fremden Leute los zu werden. Der Bruder blieb bei ihr und Friedrich, dem bei strenger Strafe im Bett zu bleiben geboten war, hörte die ganze Nacht hindurch das Feuer in der Küche knistern und ein Geräusch wie von Hin- und Herrutschen und Bürsten. Gesprochen ward wenig und leise, aber zuweilen drangen Seufzer herüber, die dem Knaben, so jung er war, durch Mark und Bein gingen. Einmal verstand er, daß der Oheim sagte: „Margreth, zieh dir das nicht zu Gemüth; wir wollen Jeder drei Messen lesen lassen, und um Ostern gehen wir zusammen eine Bittfahrt zur Muttergottes von Werl.“

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_387.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)