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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

genug geweint“, sagte er verdrießlich; „bedenk, du bist es nicht, die mich glücklich macht, ich mache dich glücklich!“ – Sie sah demüthig zu ihm auf und schien zu fühlen, daß er Recht habe. Das Geschäft war beendigt; die junge Frau hatte ihrem Manne zugetrunken, junge Spaßvögel hatten durch den Dreifuß geschaut, ob die Binde gerade sitze, und man drängte sich wieder der Tenne zu, von wo unauslöschliches Gelächter und Lärm herüberschallte. Friedrich war nicht mehr dort. Eine große, unerträgliche Schmach hatte ihn getroffen, da der Jude Aaron, ein Schlächter und gelegentlicher Althändler aus dem nächsten Städtchen, plötzlich erschienen war, und nach einem kurzen, unbefriedigenden Zwiegespräch ihn laut vor allen Leuten um den Betrag von zehn Thalern für eine schon um Ostern gelieferte Uhr gemahnt hatte. Friedrich war wie vernichtet fortgegangen und der Jude ihm gefolgt, immer schreiend: „O weh mir! warum hab’ ich nicht gehört auf vernünftige Leute! Haben sie mir nicht hundertmal gesagt, Ihr hättet all Eu’r Gut am Leibe und kein Brod im Schranke!“ – Die Tenne tobte von Gelächter; manche hatten sich auf den Hof nachgedrängt. – „Packt den Juden! wiegt ihn gegen ein Schwein!“ riefen Einige; andere waren ernst geworden. – „Der Friedrich sah so blaß aus wie ein Tuch,“ sagte eine alte Frau, und die Menge theilte sich, wie der Wagen des Gutsherrn in den Hof lenkte.

Herr von S. war auf dem Heimwege verstimmt, die jedesmalige Folge, wenn der Wunsch, seine Popularität aufrecht zu erhalten, ihn bewog, solchen Festen beizuwohnen. Er sah schweigend aus dem Wagen. „Was sind denn das für ein paar Figuren?“ – Er deutete auf zwei dunkle Gestalten, die vor dem Wagen rannten wie Strauße. Nun schlüpften sie ins Schloß. – „Auch ein paar selige Schweine aus unserm eigenen Stall!“ seufzte Herr von S. Zu Hause angekommen, fand er die Hausflur vom ganzen Dienstpersonal eingenommen, das zwei Kleinknechte umstand, welche sich blaß und atemlos auf der Stiege niedergelassen hatten. Sie behaupteten, von des alten Mergels Geist verfolgt worden zu seyn, als sie durchs Brederholz heimkehrten. Zuerst hatte es über ihnen an der Höhe gerauscht und geknistert; darauf hoch in der Luft ein Geklapper wie von aneinander geschlagenen Stöcken; plötzlich ein gellender Schrei und ganz deutlich die Worte: „O weh, meine arme Seele!“ hoch von oben herab. Der Eine wollte auch glühende Augen durch die Zweige funkeln gesehen haben, und Beide waren gelaufen, was ihre Beine vermochten.

„Dummes Zeug!“ sagte der Gutsherr verdrießlich und trat in die Kammer, sich umzukleiden. Am andern Morgen wollte die Fontäne im Garten nicht springen, und es fand sich, daß Jemand eine Röhre verrückt hatte, augenscheinlich um nach dem Kopfe eines vor vielen Jahren hier verscharrten Pferdegerippes zu suchen, der für ein bewährtes Mittel wider allen Hexen- und Geisterspuck gilt. „Hm,“ sagte der Gutsherr, „was die Schelme nicht stehlen, das verderben die Narren.“

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_422.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)