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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

„Wenn nur das verdammte Buschwerk nicht so dicht wäre! da kann keine Seele hindurch,“ sagte der Gutsherr. Man trieb die Hunde in den jungen Schlag; man blies und hallohte und kehrte endlich mißvergnügt heim, als man sich überzeugt, daß die Thiere den ganzen Wald abgesucht hatten. – „Laßt nicht nach! laßt nicht nach!“ bat Frau von S.; „besser ein paar Schritte umsonst, als daß etwas versäumt wird.“ – Der Baron war fast ebenso beängstigt wie sie. Seine Unruhe trieb ihn sogar nach Johannes Wohnung, obwohl er sicher war, ihn dort nicht zu finden. Er ließ sich die Kammer des Verschollenen aufschließen. Da stand sein Bett noch ungemacht, wie er es verlassen hatte; dort hing sein guter Rock, den ihm die gnädige Frau aus dem alten Jagdkleide des Herrn hatte machen lassen; auf dem Tische ein Napf, sechs neue hölzerne Löffel und eine Schachtel. Der Gutsherr öffnete sie; fünf Groschen lagen darin, sauber in Papier gewickelt, und vier silberne Westenknöpfe; der Gutsherr betrachtete sie aufmerksam. „Ein Andenken von Mergel,“ murmelte er und trat hinaus, denn ihm ward ganz beengt in dem dumpfen, engen Kämmerchen. Die Nachsuchungen wurden fortgesezt, bis man sich überzeugt hatte, Johannes sey nicht mehr in der Gegend, wenigstens nicht lebendig. So war er denn zum zweitenmal verschwunden; ob man ihn wiederfinden würde – vielleicht einmal nach Jahren seine Knochen in einem trockenen Graben? Ihn lebend wieder zu sehen, dazu war wenig Hoffnung, und jedenfalls nach acht-und-zwanzig Jahren gewiß nicht.

Vierzehn Tage später kehrte der junge Brandis Morgens von einer Besichtigung seines Reviers durch das Brederholz heim. Es war ein für die Jahreszeit ungewöhnlich heißer Tag; die Luft zitterte, kein Vogel sang, nur die Raben krächzten langweilig aus den Aesten und hielten ihre offenen Schnäbel der Luft entgegen. Brandis war sehr ermüdet. Bald nahm er seine von der Sonne durchglühte Kappe ab, bald sezte er sie wieder auf. Es war Alles gleich unerträglich, das Arbeiten durch den kniehohen Schlag sehr beschwerlich. Rings umher kein Baum außer der Judenbuche. Dahin strebte er denn auch aus allen Kräften und ließ sich todtmatt auf das beschattete Moos darunter nieder. Die Kühle zog so angenehm durch seine Glieder, daß er die Augen schloß. „Schändliche Pilze!“ murmelte er halb im Schlaf. Es gibt nämlich in jener Gegend eine Art sehr saftiger Pilze, die nur ein paar Tage stehen, dann einfallen und einen unerträglichen Geruch verbreiten. Brandis glaubte solche unangenehmen Nachbarn zu spüren, er wandte sich ein paarmal hin und her, mochte aber doch nicht aufstehen; sein Hund sprang unterdessen umher, krazte am Stamm der Buche und bellte hinauf. – „Was hast du da, Bello? eine Katze?“ murmelte Brandis. Er öffnete die Wimper halb, und die Judenschrift fiel ihm in’s Auge, sehr ausgewachsen, aber doch noch ganz kenntlich. Er schloß die Augen wieder; der Hund fuhr fort zu bellen und legte endlich seinem Herrn die kalte Schnauze an’s Gesicht. – „Laß mich in Ruh! was hast du denn?“ Hiebei sah Brandis, wie er so auf dem Rücken lag, in die Höhe, sprang dann mit einem Satze auf und wie besessen in’s Gestrüpp hinein. Todtenbleich kam er auf dem Schlosse an: in der Judenbuche hänge ein Mensch; er habe die Beine gerade über seinem Gesichte hängen sehen. – „Und du hast ihn nicht abgeschnitten, Esel?“ rief der Baron. – „Herr,“ keuchte Brandis, „wenn Ew. Gnaden da gewesen wären, so wüßten Sie wohl, daß der Mensch nicht mehr lebt. Ich glaubte Anfangs, es seyen die Pilze.“ Dennoch trieb der Gutsherr zur größten Eile und zog selbst mit hinaus.

Sie waren unter der Buche angelangt. „Ich sehe nichts,“ sagte Herr von S. – „Hierher müssen Sie treten, hierher, an diese Stelle!“ – Wirklich, dem war so: der Gutsherr erkannte seine eigenen abgetragenen Schuhe. – „Gott, es ist Johannes! – Sezt die Leiter an! – so – nun herunter! sacht, sacht! laßt ihn nicht fallen! – Lieber Himmel, die Würmer sind schon daran! Macht dennoch die Schlinge auf und die Halsbinde.“ – Eine breite Narbe ward sichtbar; der Gutsherr fuhr zurück. – „Mein Gott!“ sagte er; er beugte sich wieder über die Leiche, betrachtete die Narbe mit großer Aufmerksamkeit und schwieg eine Weile in tiefer Erschütterung. Dann wandte er sich zu den Förstern: „Es ist nicht recht, daß der Unschuldige für den Schuldigen leide; sagt es nur allen Leuten: der da“ – er deutete auf den Todten – „war Friedrich Mergel.“ – Die Leiche ward auf dem Schindanger verscharrt.

Dieß hat sich nach allen Hauptumständen wirklich so begeben im September des Jahrs 1788. – Die hebräische Schrift an dem Baume heißt:

„Wenn du dich diesem Orte nahest, so wird es dir ergehen, wie du mir gethan hast.“

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_443.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)