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Franz Schreker
Zum Tode des berühmten Komponisten


Ein schweres Leben hat seinen Abschluss gefunden. Franz Schreker ist, 56 Jahre alt, gestorben. Erloschen könnte man sagen. Es gab für ihn die beiden Möglichkeiten: des Neubeginnes oder des Aufhörens. Die erste war vielleicht unwahrscheinlich, doch bringt gerade die heutige Zeit manchmal auch das Unwahrscheinlichste zu Wege. Bei Schreker ist es anders gekommen. Er hat aufgehört.

Dieser Mann war eine der merkwürdigsten Erscheinungen unserer Zeit. Zunächst ein Musiker aussergewöhnlichen Formates, der Begabung, dem Können, der Phantasie, der ursprünglichen Instinktsicherheit nach eine Gestalt der vordersten Reihe. Als er anfing, richtiger, als er, einige 30 Jahre alt, zuerst bekannt wurde, 1912, gab es nichts ihm Aehnliches in der Oper. Sein „Ferner Klang“ war nicht nur ein Bühnenerfolg von ausserordentlicher Tragweite. Mehr noch: eine ganze Musikergeneration ist aus und an diesem Werk emporgewachsen. Schreker, damals in Wien lebend, war der Kompositionslehrer, zu dem alle jungen Begabungen hinströmten. Mit Ausnahme von Hindemith, Weill und dem Schönberg-Kreis waren sie alle seine Schüler: Krenek, Rathaus, Haba, Petyrek und viele andere, auch Dirigenten, wie Rosenstock. Er war nicht nur Kompositionslehrer, der sorgsame Strenge mit freiem Blick verband. Er war gegenwärtiger Musiker, er war ein lebendiger Mensch. Wer ihn jemals hat seine Texte vorlesen oder auch nur Anekdoten erzählen hören, wird eine unvergessliche Erinnerung an diese elementare Vitalität bewahren. Schon aus seiner Art zu sprechen, zu schildern, den Vortrag zu gestalten, sprach die Veranschaulichungsgabe des Theatermannes.

So blieb es, solange Schreker in Wien lebte, bis etwa 1921. Er schrieb dort ausser dem „Fernen Klang“ noch zwei grosse Werke, die „Gezeichneten“ und den „Schatzgräber“. Beide waren wichtige Erfolge. „Schatzgräber“ gehörte zu den meistgegebenen Werken dieser Jahre. Schrekers Musikertum hatte einen vollen Sieg errungen. Zu einer Zeit, in der Strauss als Opernkomponist sich in artistische Problematik verfing, d’Albert und Pfitzner nicht mehr konnten, Busoni fast ausserhalb der Welt an seinem „Doktor Faust“ schuf, schenkte Schreker der Bühne drei vollgiltige Opern, ganz eigener Prägung, Werke, die Musik und Theaterkraft zugleich in sich trugen. Man berief ihn damals zum Direktor der Berliner Hochschule für Musik, und ein erheblicher Teil seiner Schüler folgte ihm dort hin. Ein Ziel schien erreicht.

Da geschah etwas Merkwürdiges. Der starke Anlauf stockte plötzlich. Er stockte auf schöpferischem, er stockte auf pädagogischem, er stockte auf persönlichem Gebiet. Die junge Generation, die Schreker herangebildet hatte, wandte sich von ihm ab. Der Bühnenerfolg, bis zu „Schatzgräber“ hinauf ununterbrochen steigend, hielt wie auf geheimes Zeichen inne. „Irrelohe“, später der „Singende Teufel“ waren Fehlschläge, zum mindesten in Bezug auf Publikumswirkung. Schreker begriff nicht, er konnte nicht begreifen. Er war derselbe geblieben, er glaubte es zum mindesten, und seiner Musiker-Qualitäten war er sicher. Unversehens sollte alles anders sein, nichts mehr gelten. Junge Leute, ihm an Begabung und Können nicht gleich, standen vorn, wurden diskutiert, hatten Erfolge. Er selbst blieb bei Seite, wurde über Nacht zum alten Eisen geworfen.

Eine tiefe Verbitterung stieg in ihm auf. Der ursprünglich frohsinnige Mensch wurde hart und schwermütig. War es die Verbitterung, die ihn unproduktiv machte, oder war es eine Welle der Unproduktivität, die ihn verbittert machte? Gewiss lag das Entscheidende in ihm selbst. Die Persönlichkeit als solche war nicht weiter geschritten, sie war stehen geblieben, zu früh. Vielleicht hatte der Erfolg sie verwirrt, vielleicht hatte das Theaterelement in Schreker ihn verleitet, die Welt mehr von aussen zu nehmen, als gut ist für den schöpferischen Künstler. Vielleicht war der grosse Begabungsfonds wirklich aufgebraucht, weil er keine inneren Zuflüsse mehr empfing, oder die Atmosphäre des neuen Lebens hatte ihn unsicher gemacht. Schreker ist darin die korrespondierende Gegenerscheinung zu Pfitzner, mit dem Unterschied, dass Pfitzner seine Unproduktivität in Beschimpfungen Andersdenkender abreagiert, während Schreker sie in sich hineinwürgte und immer wieder ihrer Herr zu werden suchte. Als im Herbst 1932 seine letzte Oper, der „Schmied von Gent“, in der Berliner Städtischen Oper aufgeführt wurde, hoffte er, damit den neuen Weg gefunden zu haben. Aber was die Mitwelt tun konnte, ihm diesen Weg zu erschweren, hat sie auch damals noch getan, mit redlichem Bemühen, weiter zu vergiften. Obwohl Schreker parteihafte Gesinnung fern lag und er innerlich mehr rechts als links stand, galt er als parteimässig abgestempelt. War er doch durch die „System“-Regierung berufen, hatte doch die linksgerichtete Presse ihn zuerst anerkannt.

So wurde er selbst ein irgendwie Gezeichneter. So fiel er auch als eines der ersten Opfer der „nationalen Revolution“, noch einige Monate vor ihrer offiziellen Eröffnung. Ein Konjunkturnazi, der Geiger Gustav Havemann, wollte gerne Hochschuldirektor werden, und hatte zu diesem Zweck eine Palastrevolution arrangiert. Schreker mochte die Schwierigkeit der Situation erkennen und trat zurück, Havemann freilich wartet heut noch vergeblich auf den erhofften Posten. Ein anderer war noch geschickter und ist ihm zuvorgekommen.

Vermutlich wird Schrekers Tod Anlass geben, jene alten Phrasen zu wiederholen, die fast automatisch ertönen, wenn sein Name genannt wird – obschon man im heutigen Deutschland froh sein könnte, Neuerscheinungen auch nur im Viertelausmass der Begabung Schrekers zu haben. Wirklich gekannt als Musiker haben ihn die wenigsten, die über ihn sprechen. Wenn sie das Problem Schreker richtig durchdächten, so würden sie finden, dass hier Zeitgeschichtliches und Persönliches in eine seltsame dumpfe Tragik verstrickt wurden. Ein grosser schöner Wert ist so vernichtet worden, ein Wert, der bestimmt gewesen wäre, Freude zu bringen, der das aus einem tiefen Drang heraus auch eigentlich wollte, und doch, gehemmt durch ein geheimes Gesetz, nicht dazu gelangte, sich zu dem zu lösen, was er wollte.

Soweit der Fehlklang in ihm selbst war, ist er jetzt ausgelöscht. Darüber hinaus aber gehört Schreker zu denen, die von der Welt noch einmal Gerechtigkeit zu fordern haben.



Empfohlene Zitierweise:
Paul Bekker: Musik (Artikel für das Pariser Tageblatt). , Paris 1934–1937, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Musik_(Artikel_f%C3%BCr_das_Pariser_Tageblatt).pdf/14&oldid=- (Version vom 1.8.2018)