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Der Verkehrspolizist


Es war einmal ein Verkehrspolizist, der hatte nur einen Arm, nämlich den rechten. Der linke fehlte ihm von Geburt an. Daher konnte er sich nur durch Hochstrecken des rechten Armes verständlich machen.

Als er sich zum erstenmal beim Polizeipräsidenten um die Anstellung als Verkehrspolizist bewarb, wies der Präsident ihn schroff ab und sagte, ein Mann von dieser Beschaffenheit käme für solche Tätigkeit überhaupt nicht in Frage, da ihm alle dafür erforderlichen Eigenschaften, namentlich Umblick, Beweglichkeit und klare Zeichengebung fehlten.

Aber der Einarmige liess nicht locker. Er behauptete, dass gerade er zum Verkehrspolizisten prädestiniert sei, und er fand auch Leute, die das glaubten. Jedesmal, wenn ein Unglück passiert war, kam der Einarmige mit seinen Anhängern und sagte, das sei Schuld der zweiarmigen Verkehrsschutzleute, und bei ihm wäre so etwas nicht vorgekommen. Immer mehr Menschen stimmten ihm zu, und eines Tages, als wieder ein paar Leute überfahren worden waren, entschloss sich der Polizeipräsident, den Einarmigen in Dienst zu nehmen, schon damit das ewige Krakeelen[1] aufhöre.

Der Einarmige stellte sich auf den Platz im Zentrum der Stadt, wo sich alle Strassen kreuzten. Er hob seinen rechten Arm als Signal für die Wagen und Fussgänger, die in der Richtung nach Norden wollten. Alle anderen mussten stehen bleiben. Ueber diese Methode gab es zuerst allgemeines Gelächter, dann murrten die Leute und wollten schliesslich rebellisch werden. Aber da schickte der Einarmige ihnen Strafmandate. Es wurde bekannt gegeben, dass der Verkehr nur noch auf der Strasse nach Norden erlaubt sei, für Fussgänger wie für Fuhrwerke. Wer anders zu fahren versuchte, wurde durch Entziehung der Fahrerlaubnis und Beschlagnahme des Wagens bestraft. Fussgänger, die man in den gesperrten Strassen traf, wurden verhaftet. Nach kurzer Zeit lief der gesamte Verkehr nur noch in der Richtung nach Norden. Immer stand der Schutzmann da und hob seinen rechten Arm hoch, zum Zeichen dass die Durchfahrt nach Norden frei war.

Es gab auf die Art zunächst tatsächlich weniger Unfälle, ausser wenn die Wagen zu hart aufeinander fuhren. Umso grösser war die Zahl der in den nun verbotenen Strassen Betroffenen und Verhafteten – solcher, die dort wohnten oder ihre Geschäfte hatten. Auch klagten die Händler, dass ihre Betriebe verödeten, und es zeigte sich immer mehr, dass durch die Umleitung des gesamten Verkehrs in eine einzige Strasse die Stadt systematisch zerstört wurde. Nicht einmal diese Hauptstrasse selbst hatte einen Vorteil davon, denn sie war nun durch den übermässig gesteigerten Verkehr zugestopft. Eine Abordnung der Bürger wollte zum Polizeipräsidenten, aber der war nicht mehr erreichbar, weil er in einer der verbotenen Nebenstrassen wohnte.

In dieser Not kam ein Schlaukopf auf den rettenden Gedanken. Er sagte, das ganze Unglück käme nur von der Einarmigkeit des Mannes, die ihn nötigte, dauernd den rechten Arm hochzuhalten. Man möge ihm diesen herunterschlagen, und der Zauber sei gebrochen. Ein paar kräftige Kerle taten sich zu diesem Zweck zusammen. Sie überfielen den Verkehrsschutzmann, gerade als er einen Augenblick den Arm gelockert hatte, um sich den Schweiss von der Stirne zu wischen. Sie banden ihm den Arm mit Stricken fest an den Körper, so dass er ihn nicht freimachen konnte. Da begann ein wildes Tuten der Autos und Geschrei der Fussgänger. Von allen Seiten strömten sie herbei, aus den verbotenen Strassen am meisten. Erst machten alle eine höhnische Ehrenrunde um den Verkehrsschutzmann mit dem festgebundenen Arm, und dann fuhren und liefen sie fröhlich weiter wie vordem. Aber sie waren jetzt klüger geworden und sahen, dass sie vor allen Dingen selbst acht geben mussten, dann brauchten sie sich nicht von einem Polizisten kommandieren zu lassen.

Der Einarmige aber stand voller Verzweiflung immer noch auf dem Platz. Niemand kümmerte sich um ihn. Schliesslich erbarmten sich einige und transportierten ihn nach dem neugegründeten Museum menschlicher Verirrungen. Dort stellte man ihn als Hauptstück auf ein hohes Postament im Ehrenhof und band ihm den Arm los. Da lächelte er glücklich und streckte ihn sofort wieder in die Höhe.

Und wenn er nicht gestorben ist, so lebt er heute noch.



  1. Vorlage: Krakehlen
Empfohlene Zitierweise:
Paul Bekker: Musik (Artikel für das Pariser Tageblatt). , Paris 1934–1937, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Musik_(Artikel_f%C3%BCr_das_Pariser_Tageblatt).pdf/32&oldid=- (Version vom 1.8.2018)