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Verdienst, das im Gewande der Dürftigkeit erscheint, gering schätzen und mißachten und oft vergessen, auch in den Armen und Geringen das Ebenbild Gottes zu ehren. –

Gib, Allvater, daß ich mich nie der Unthätigkeit und der Verweichlichung hingebe, daß ich stets kräftig und gerüstet gegen das wechselvolle Leben bleibe. Verleihe, Allbarmherziger, mir und den Meinen Gesundheit des Körpers und des Geistes, um in Frohsinn und Heiterkeit uns deiner Gottesgaben erfreuen zu können. Laß, Allgütiger, deinen Schutz und deine Gnade uns stets umschweben und entziehe uns nimmer deine Liebe und deine Freundlichkeit. Amen.


Gebet einer Unbemittelten.

„Gott macht arm und macht reich,
Er erniedrigt und erhöhet wieder.
Er richtet aus dem Staub den Armen auf.”
 (Sam. 1, 2, 6.)

Mein Gott! Auf verschiedenartigen Wegen führst du uns durchs Leben, aber wo wir auch wandeln, deine Liebe ist uns eine stete Begleiterin auf allen unsern Wegen.

Wenn unsere Bahn durch geebnete und gesegnete Gefilde sich hinzieht, dahin gehet über üppige blühende Fluren, wo die ersehnte Goldfrucht des Lebens uns überall entgegenwinkt, da stellen sich uns gar sichtbarlich die strahlenden Erscheinungen deiner Huld und Gnade dar, mein Gott; – doch wenn unser Weg durch öde, dürre Steppen führt, wenn karg und spärlich das Brod uns zugemessen ist, der Besitz uns fliehet, die Armuth uns drängt und nur herbe Mühe und Schweiß uns das Unentbehrlichste gewähren; auch da ist es der Geist deiner Liebe, der über uns waltet. Und obgleich er sich dann nicht eben so augenscheinlich und unverhüllt bethätigt, dem kindlich frommen Herzen wird auch dann deine heilige Erscheinung kund, wie sie vor ihm hergeht durch die Wüste des Lebens und sie ihm erleuchtet. Das fromme Gemüth erkennt in jeder Schickung die Hand des Herrn und nimmt dieselbe auch da, wo es dadurch leidet, als Wohlthat an, selbst da, wo es nicht zu begreifen vermag, welchen Nutzen ihm dies Leiden bringen kann.

Darum will ich ruhig und ergeben meinen Weg dahingehen, ob er gleich der Weg der Armuth, der Entbehrnisse und des Mangels

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/119&oldid=- (Version vom 1.8.2018)