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und welch einen Segen, welche eine unbegrenzte Wohlthat du uns verliehen hast durch deine göttliche Lehre. Sie ist uns eine starke, treue Führerin durchs Leben und eine milde, unermüdliche und unerschöpfliche Trösterin bei des Lebens Unfällen und Betrübnissen. Wie die liebende Mutter sich hinsetzt an die Wiege ihres weinenden Säuglings und so lange, in weichen, kosenden Tönen trauliche Lieder ihm vorsingt, bis endlich das Weinen des Kindes einem süßen Lächeln Platz gemacht – ebenso setzt Mutter Religion an das Schmerzenslager des weinenden Menschenkindes sich hin und legt ihm so lange ihre sanften Tröstungen ins Herz, bis endlich die Leiden ihm aus dem Herzen geschwunden sind. Sie lehrt uns, daß du es bist, der das All in Liebe hegt und trägt, daß du es bist, von dem Alles ausgeht, was uns an Gütern und Freuden zu Theil wird, und der allein unsers Lebens Glück und Segen ist. Sie zeigt uns, daß du gerade über diejenigen deine Prüfungen verhängst, die du lieb und werth hältst, daß du mit deiner Liebe ihnen stets nahe bist, deine helfende Kraft ihnen sendest, wo sie deine Hilfe nicht entbehren können, und ihre Trauer in Jubel, ihren Schmerz in Freude wandelst. –

War es nicht gerade Abraham, der gläubige und erleuchtete Erzvater, der Erste, der der Welt deinen Namen gelehrt, den du mit so vielen schweren Prüfungen hast heimgesucht, und ihn den Sohn seiner Seele als Opfer hast niederlegen lassen auf den Altar! – Und Jacob, der sanfte und fromme Patriarch, vom väterlichen Heerde hinausgestoßen, wanderte er hin, nichts als den nackten Stab in der Hand, allen Gefahren eines Wanderlebens preisgegeben. Doch mitten in den Wüsten und Einöden warst du sein Schutz, um sein schlafend Haupt, um seine Schlummerstätte ließest du deine Engel sich lagern. – David, der Mann nach deinem Herzen, der heilige, gottbegeisterte Sänger, auch er kostete den herben Becher des Mißgeschickes, und Töne tiefen Schmerzes durchklingen sein sangreiches Leben.

Darum flüchte ich in meinem Mißgeschick mich zu dir, mein Gott, und halte mich an dir in Gläubigkeit und Vertrauen. Vor dir schütte ich mein Herz aus, vor dir weine ich meine Thränen; nicht Thränen des Unwillens und des Trotzes, sondern Thränen, wie sie das Kind aus der Mutter Schooß vergießt, wenn es vor ihr aufthut die trauernde Seele; Thränen, die das Herz erleichtern, die bittern Empfindungen hinwegwaschen und das Gemüth öffnen der Hoffnung und der Zuversicht.

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 111. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/123&oldid=- (Version vom 1.8.2018)