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ersten Tag der Weltschöpfung, da Alles war wüst und öde, und unendliche Finsterniß ruhete über dem schauervollen Abgrund des Nichts.“ Da sprachst du – und aus dem Schooße grauenhaften Dunkels rang sich hervor das freudvolle, strahlende Licht; dieses erste Bedingniß alles Lebens und Seins. Und Tag für Tag ertönte von neuem dein allmächtiges „Werde” durch die Räume der Schöpfung, und immer weiter dehnte sich der Kreis des Geschaffenen, und immer neue Wesen, neue Gebilde traten ans Licht des Daseins, bis sie endlich da stand die Welt in ihrer Vollendung, ein Abdruck deiner erhabenen Herrlichkeit und Majestät, ein Wiederschein und Strahl deiner allumfassenden Weisheit und Güte, und ein Tag himmlischer Ruhe die schöpfungsreiche Woche schloß, der von dir gesegnet wurde und geheiligt zur Ruhe und Feier für alle Zeiten.

Mein Gott, wohl nicht zu viel und zu schwer war es deiner Allmacht, die ganze Schöpfung an einem Tage, durch einen einzigen Ruf, einen einzigen Hauch erstehen zu lassen, allein du wolltest uns die große Lehre geben, daß jeder Tag der Woche dem Schaffen und Wirken bestimmt sei, darum der Mensch keinen Tag dahin gehen lassen dürfe in trägem, nutzlosem Müßiggange, und der Tag, den wir nicht durch Thätigkeit und Betriebsamkeit bezeichnen, ein verlorner für uns sei, ausgestrichen aus dem Buche unseres Lebens.

Gib, o Gott, daß es mir gelinge, dieser Bestimmung getreu zu leben und alle meine Tage durch eine weise Thätigkeit auszufüllen. Mögest du, du Gott der Stärke, mir beistehen mit deiner Hilfe, mögest du, du Quell aller Weisheit, mich erleuchten durch Verstand und Einsicht, daß ich stets bei meinem Thun und Lassen einen heilsamen, würdigen Zweck vor Augen habe, und immer das rechte Mittel zu dessen Erreichung finde. Verleihe, o Gott, meinem Körper Gesundheit und Kraft, meinem Gemüthe Geduld und Ausdauer für all die Aufgaben und Anforderungen meines Standes und Berufes, daß ich niemals ermüde und ermatte in dem, was Pflicht und Gewissen von mir fordern. Laß leuchten meinem Geiste das Licht der Erkenntniß und des Glaubens, daß er nimmer von dem düstern Schleier der Sünde verhüllt und umdunkelt werde, und daß die Irrlichter der Leidenschaften meine Vernunft niemals irre führen; und wenn ich einst am Schlusse meiner Lebenswoche an der Pforte stehe, die einführt zur ewigen Ruhe, und den Blick zurückwende auf mein vollbrachtes Schaffen und

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/22&oldid=- (Version vom 1.8.2018)