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Unter dem Rollen des Donners, unter dem Zucken des Blitzes, stiegest du, Allvater, auf den bescheidenen Gipfel des Sinai hernieder und redetest zu deinem Volke in deiner so hehren und doch so milden Sprache, du ließest dich herab, der Hohe und Erhabene, zu dem schwachen, gebrechlichen Menschensohn, offenbartest dich ihm in deiner Herrlichkeit und Glorie, und ertheiltest ihm Satzungen des Rechts und der Wahrheit, Lehren des Trostes und der Erhebung.

Der frohen Begebenheit dieses Festes verdanken wir unsern höchsten Schatz, unser kostbarstes Kleinod, die zehn Gebote. Diese Pfosten und Grundsteine unseres beseligenden Glaubens, diese treuen Leiter und Führer durchs Leben, diese Wegweiser auf den Pfaden des Rechts und der Pflicht, diese Stützen und Anker in Mühen und Drangsalen, die Alles in sich schließen, was den Geist erhebt, was das Herz veredelt, was den Menschen menschlicher, das Kind kindlicher macht, was dem Verzweifelnden Trost, dem Zweifelnden Zuversicht gibt.

  1. „Ich bin der Ewige dein Gott, der dich aus dem Lande Mizraim, aus dem Sklavenhause befreite.”

Dies das erste Wort der göttlichen Offenbarung.

O, sei mir gesegnet, du herrliches Wort! Was die Ahnungen des Herzens uns leise verkünden, das rufst du mit lauter Stimme durch die Welt hin, was auf jedem Blatte im Buche der Natur hingezeichnet ist, daran legst du dein Siegel und deine Gewährschaft an: Es ist ein Gott! Ein Gott der Allmacht, der mit gewaltigem Arm unsre Dränger und Verfolger zu Boden schlägt, ein Gott des Erbarmens, der auf die Jammertöne der Gedrückten und Geknechteten horchet, der ihre Bande und Riegel löst und sie zu Freiheit und Glück führet! Wie froh und weit wird mein Herz im Vertrauen zu ihm, der auch mir allliebend seine Hand reicht, wenn Druck und Noth mich beengt, wenn des Verfolgers Hand auf mir liegt, wenn die Thore des Glücks mir geschlossen sind!

  1. „Du sollst keine andre Götter vor mir haben.”

Denn der Ewige ist ein einziger, alleiniger Gott, ihm allein gebührt Lob und Preis und Anbetung; ihm, mein Herz, weihe deine Verehrung, deine Liebe, deine Dankbarkeit! Er allein ist es, der huldvoll mich durchs Leben führt, mein Schöpfer, mein Erhalter, der meine Jugend leitet, mein Alter schirmet, der stets und überall der eine und derselbe ist, im Himmel, auf Erden und in den Tiefen des Meeres. Drum sei muthig und getrost meine Seele! Wenn auch das Geschick dir nicht freundlich lächeln mag, wenn dich auch

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)