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Wesens, auf daß du wahrnehmest und erkennest deine Fehler und Gebrechen, um sie von dir loszureißen mit deiner ganzen Kraft und dann wieder rein zu werden vor Gott, dem Allerhabenen. Ach wie Vieles wirst du an dir finden, was ihm mißfällig sein muß, was dich mit Scham und Reue wird erfüllen, daß du dich wirst schämen und scheuen müssen, deine Augen zu ihm aufzuheben. Denn ach, wie so Manches habe ich verschuldet, das wie ein dunkler Fleck das Buch meines Lebens entstellt; wie viele Gedanken und Gefühle gehegt, die wie düstre Schatten den ursprünglichen Adel, die kindliche Reinheit der Seele und des Herzens einhüllen. Wie oft habe ich – ich, ein Kind des Staubes und des Wahnes, mich aufgelehnt gegen die Schickungen und Fügungen des Ewigen und Allweisen; wie oft habe ich lieblos gehandelt gegen Gott, meinen allliebenden Vater, treulos gegen ihn, meinen treuesten Freund und Beschützer, Verrath geübt gegen den ewigen König und Herrn, wie oft habe ich meine Gedanken durch die Truggestalten der Versuchung losreißen lassen von dem Quell des Heils und der Wahrheit. Der Gedanke an meine Sünden lastet schwer und schmerzlich auf mir und das Bewußtsein meiner Schuld drückt mich so tief nieder, daß nur das Bewußtsein deiner unendlichen Huld und Gnade mich zu trösten, daß nur der Glaube an dein grenzenloses Erbarmen mich aufzurichten vermag.

Laß meine Reue, meine bußfertigen Gesinnungen vor dich kommen, mein Gott, der du stets nahe bist denen, die zerbrochenen und zerknirschten Herzens sind. Laß du, Urquell aller Kraft und Stärke, die Kraft des Guten in meine Seele einströmen, stähle meinen Muth, stärke meinen Willen, daß ich mit aller Wärme und Innigkeit den Uebungen des Gottgefälligen mich hingebe, daß ich in Demuth wandle deine Wege, o Herr, Milde und Liebe übe gegen den Schwachen, freudig und eifrig alle Pflichten und Aufgaben erfülle, die in meinem Wirkungskreise liegen, Geduld und Nachsicht habe gegen den Fehlenden, vergessend und vergehend, dem, der mich verletzt und beleidigt hat, die Hand reiche. Gieße in mein Herz, o Gott, reine und veredelnde Triebe, damit der herannahende Versöhnungstag mich rein und deiner Vergebung würdig finde und ich angeschrieben werde zum Guten, zu einem Leben voll Glück, voll Heil und Segen, im Kreise meiner Lieben und Theuren, die du segnen und erhalten wollest in deiner Gnade. Amen.

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/60&oldid=- (Version vom 1.8.2018)