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verzeiht, sondern wie der gütige Vater sein reuig Kind wieder aufnimmt in seine Arme, es wieder legt an sein Herz, und es wieder hegt in Liebe und Erbarmen, also thust du, Allvater, an uns in deiner göttlichen Huld.

Und so freuen wir uns denn und sind fröhlich vor dir, mein Gott, und mit frohem getröstetem Herzen betreten wir die festliche Hütte, die wir uns erbaut und geschmückt, deinem Gebote zu Ehren, und aus geläutertem Herzen steigt unser Gebet zu dir empor.

In Hütten feiern wir das Sukkotfest, gleich einem Nomadenvolk, gleich unsern Vätern in der Wüste, die während ihrer Wanderschaft in Hütten wohnten.

Welch eine schöne Periode in dem Leben unseres Volkes war dies! – Groß durch deine Wunder und gesegnet durch deine Liebe, in der freien, offenen Natur zelteten unsere Väter, aber um sie und über sie schwebte deine Huld und schützte sie vor jedem lauernden Feind, vor jeder Gefahr und Noth; eine Wolkensäule war ihr Schutz am Tage, eine Feuersäule in der Nacht; zum frischen labenden Quell ward ihnen der dürre Fels, aus der Wolke senkte sich die Speise für sie herab, unversehrt wandelte ihr Fuß über den glühenden Boden, und ihr Gewand zerriß nicht, bis sie eintraten in das gelobte, gepriesene Land, das du ihnen zum Erbe und Eigenthum verheißen.

Und hat nicht seitdem fort und fort deine göttliche Wunderkraft an uns sich offenbart? Hast du nicht fort und fort deiner Gnade Schirm und Obdach ausgespannt, und die Fittige deiner Huld ausgebreitet über die Häupter deines Volkes, wo Feindes Macht sie zu vernichten drohte! Seit Jahrtausenden ist Israel das Wandervolk auf Erden, gen Morgen und gen Abend zogen wir hin und überall ward der Boden unter uns eine heiße und glühende Wüste, jeder frische Quell ward für uns verschlossen; gebrechliche Hütten, nur wankend und unsicher waren unsre Wohnungen, die der Zeiten Unbill und der Völker Haß und Vorurtheil oft genug über unserm Haupte nieder- und zusammenrissen. „Nur deiner Gnade danken wir es, daß wir nicht untergingen.“ Deine Barmherzigkeit hat uns gehalten und getragen über Ströme und Fluthen, über jeden Abgrund, der uns zu verschlingen drohete. Und nun nach langer Wanderschaft hast du uns kosten lassen die Süßigkeit der Heimath! Dank dir, haben wir ein Vaterland gefunden, ein schönes, herrliches Land, das uns als seine Kinder anerkennt; die wandernde Hütte des Fremdlings,

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Fanny Neuda: Stunden der Andacht. Wolf Pascheles, Prag 1858, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuda-Stunden_der_Andacht-1858.pdf/77&oldid=- (Version vom 1.8.2018)