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wem könnte wohl Chopin richtiger verstanden werden, als von seinen Landsleuten. –

      Ebenso empfehlen wir allen Denjenigen, welche einige prosodische Verstöße gegen die musikalische Declamation durch geistvolle Darstellung zu mildern vermögen, das vom Verleger zugleich sinnig decorirte Lied „Still klingt das Glöcklein durch Felder“ als eine bei aller rührenden Schlichtheit ebensowohl dichterisch wie musikalisch poetische und fesselnde Spende in Liszt’schem Style. –

      Ueber die Violinphantasie und das Nocturne gestatte uns dagegen der Autor flüchtiger hinwegzugehen, da sie großentheils theils Concessionen gegen den oberflächlicheren Salongeschmack, theils einer noch unbeholfeneren früheren Periode anzugehören scheinen. Da die Phantasie laut Titelangabe über einige Themen einer noch unveröffentlichten Oper verfaßt ist, hätte auch ein in der Compositiontechnik geschulterer und viel strenger sichtender Autor kaum den Potpourricharakter solcher Opernphantasten zu vermeiden vermocht. – Das Nocturne kann dagegen bei seinen zum Theil recht natürlichen und liebenswürdigen Melodien durch eine, in Bezug auf Naivetäten und Ortographie streng sichtende Ueberarbeitung zu einem ganz annehmbaren Salonstücke werden. –

      So erfreulich es ist, bei den diesmal zuerst bespr. Piecen in Betreff solcher Sichtung etc. einen ganz erheblichen Fortschritt constatiren zu können, so veranlassen doch auch sie noch hier und zu dem früher ausgesprochenen Bedauern, daß dem Autor nicht von Hause aus die Basis einer, die Erfindungskraft so erfrischend stärkenden und befruchtenden tüchtigen architectonischen etc. Erziehung zu Theil geworden ist, ohne welche man stets Gefahr läuft, seine Gedanken halb erfolglos zu vergeuden anstatt sie organisch zu entwickeln, desgleichen einer von zu naiven Anklängen an überwundene Zeiten läuternden Erziehung noch empfindlicheren Gefühls für jene feine Grenze, welche namentlich auch den Humor niemals in irgend ein unbeabsichtigtes Gegentheil umschlagen läßt. Besonders in der Behandlung des Claviers aber ist man sicher berechtigt, von einem so hervorragenden Pianisten die gewählteste Durcharbeitung, die vielseitigste und feinsinnigste Benutzung des Instrumentes und Darstellungsmaterials zu beanspruchen, wie wir dies z. B. grade bei seinem hochgenialen Landsmann Chopin trotz alles oft noch so ungebundenen laisser aller in so hohem Grade zu bewundern Gelegenheit haben. Man kann Tarnowski unmöglich seine Achtung für das energische Streben versagen, das ihm noch Mangelnde zu gewinnen. Ob ihm dies jedoch ohne andere Führung vollständig gelingen wird, lassen auch die diesmal bespr. Piecen noch zuweilen zweifelhaft. Den Freunden ernsten und vollen Hingebens an den freien Ausdruck charactervollen Gedanken- und Empfindungsinhalts aber wünschen wir das (hier und da mit der nöthigen freundlichen Geduld gepaarte) entgegenkommendste Interesse für die meisten der vorstehend bespr. Comp. durch die vorstehenden Wünsche in keiner Weise zu mindern. –

Z.




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Diverse: Neue Zeitschrift für Musik - Notizen und Artikel über Werke von Ladislas Tarnowski 1870-1878. C. F. Kahnt, Leipzig 1870-1878, Seite 337. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neue_Zeitschrift_f%C3%BCr_Musik_-_Notizen_und_Artikel_%C3%BCber_Werke_von_Ladislas_Tarnowski_1870-1878.pdf/23&oldid=- (Version vom 12.12.2020)