Seite:Neuere politische und sociale Gedichte Freiligrath 1849.pdf/68

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Die Todten an die Lebenden.[WS 1]

Die Kugel mitten in der Brust, die Stirne breit gespalten,
So habt ihr uns auf blut’gem Brett hoch in die Luft gehalten!
Hoch in die Luft mit wildem Schrei, daß unsre Schmerzgeberde
Dem, der zu tödten uns befahl, ein Fluch auf ewig werde!

5
Daß er sie sehe Tag und Nacht, im Wachen und im Traume –

Im Oeffnen seines Bibelbuchs wie im Champagnerschaume!
Daß wie ein Brandmal sie sich tief in seine Seele brenne:
Daß nirgendwo und nimmermehr er vor ihr fliehen könne!
Daß jeder qualverzogne Mund, daß jede rothe Wunde

10
Ihn schrecke noch, ihn ängste noch in seiner letzten Stunde!

Daß jedes Schluchzen um uns her dem Sterbenden noch schalle,
Daß jede todte Faust sich noch nach seinem Haupte balle –
Mög’ er das Haupt nun auf ein Bett, wie andre Leute pflegen,
Mög’ er es auf ein Blutgerüst zum letzten Athmen legen!

  1. Die Veröffentlichung dieses Gedichts in einem Druck von 9000 Exemplaren führte zu einem Prozeß, der in der Schrift „Stenographischer Bericht des Processes gegen den Dichter Ferdinand Freiligrath“ protokolliert ist.
Empfohlene Zitierweise:
Ferdinand Freiligrath: Neuere politische und sociale Gedichte. Erstes Heft. Zweiter Abdruck.. Selbstverlag des Verfassers, Köln 1849, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neuere_politische_und_sociale_Gedichte_Freiligrath_1849.pdf/68&oldid=- (Version vom 1.8.2018)