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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

PROFESSOR ERNST GLADBACH.


An einem sonnigen Herbsttage vor bald zwanzig Jahren stieg ein junger Gymnasiast mit etwas klopfendem Herzen zur Kirche Fluntern empor. Er wollte Professor Gladbach aufsuchen, von dem er gehört hatte, dass er ein berühmter Mann sei, – und berühmte Männer waren ihm bisher nur wenige begegnet. Er hatte sie meist nur im Rathaussaale von weitem gesehen, und der Begriff von schwarzem Rock, weisser Kravatte und höchst gelehrten Reden haftete daran. Ein kleines Häuschen, gleich oberhalb der Kirche Fluntern, wurde ihm als das des Professors gewiesen; sehr einfach, aber sauber und mitten in blühendem Gärtchen. Astern prangten in allen Farben in wohlgepflegten Beeten, zwischen denen sich eine sympathische Frau mit schönen Augen zu schaffen machte. Das alles sah so sonnig und heiter aus, dass es ihm schon leichter um’s Herz wurde. Auf seine Frage nach dem Professor wies ihn die Frau freundlich ins Haus. Ein enges Treppchen führte zum Studierzimmer empor. Auf das «Herein» öffnete er die Türe, sah aber gar nichts – ein beissender Tabaksqualm schlug ihm entgegen und erfüllte das Zimmer mit dichtem Nebel. «He holla, guter Freund», rief es aus der Wolke heraus, «warten Sie ein bischen, ich mache das Fenster auf, es wird gleich besser!» Ein Durchzug entstand, und aus dem Nebel tauchte eine lange, magere Gestalt auf, im Schlafrock und mit langer Pfeife, aus der es beständig qualmte. Der Professor begrüsste ihn aufs freundlichste, nötigte ihn auf das winzige Kanapee, das trotz seiner Kleinheit die Hälfte des Zimmers ausfüllte, und war sogleich bereit, sein Begehren nach Privatstunden in Zeichnen und Perspektive zu erfüllen. Auf dem Tische, der gerade an der andern Seite des Zimmers noch Platz hatte, lag ein Reissbrett mit der angefangenen Zeichnung eines Schweizerhauses; ohne lange Umstände nahm er es

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.8.2018)