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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

vor und zeigte daran, wie er so etwas beginne, erzählte von Mathaeus Merian, seinem Hauptlehrmeister, schleppte einen alten Band von dessen Topographie heran und konnte nicht fertig werden, die Schönheiten und Eigenheiten der berühmten Stiche zu erklären. Und während er so in der liebenswürdigsten Art schon gleich eine Art Stunde gab, betrachtete ihn der Schüler etwas näher. Er war lang, mager und etwas vorgebeugt, aber noch ungemein rüstig für einen starken Sechziger; nur die vielen Falten des Gesichtes und das rötliche, sehr ins Graue spielende Haar verrieten etwas das Alter. Für seine Kunst war er voll jugendlichen Enthusiasmus und dabei im Wesen so liebenswürdig und herzlich, dass der schüchterne Besuch gleich anfangs schon die Scheu vor dem «berühmten Manne», wie er ihn sich vorgestellt hatte, verlor. – Und als er ihn in den Pantoffeln und die lange Pfeife im Munde herunterführte, die Tannenzapfen zeigte, die er auf seinen Waldspaziergängen für den Winter zu sammeln begann – «sie heizten so gut» – im Garten ihm eine späte Birne anbot, die am Spalier reifte, und seinem «Mutterchen» den neuesten und jüngsten Schüler zeigte, – da kam diesem alles vor wie eine Zeichnung von Ludwig Richter, und er hatte den sehnlichsten Wunsch, mit solchen Menschen befreundet zu werden.

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Die Stunden begannen und der Schüler freute sich jedesmal darauf. Mit Perspektive und Schattenkonstruktion wurde angefangen, um später angewandt perspektivisch zu zeichnen. Perspektive ist aber ein schwieriges Fach für den Lehrer; es genügt nicht, dass er sie absolut verstehe, es gehört auch ein grosses Darstellungsvermögen dazu, um sie andern klar zu machen – zumal wenn letztere mathematisch ungenügend vorgebildet sind. Es zeigten sich bald grössere Schwierigkeiten, an deren Erklärung er sich abquälte und die der Schüler trotz allen guten Willens nicht verstand, – dann konnte er ausser sich geraten, auf den Tisch schlagen und schreien, um im nächsten Augenblicke sich wieder aufs liebenswürdigste zu entschuldigen. Und wenn auch der Schüler sich hierbei die Hauptschuld beimass, so hatte er doch instinktiv das Gefühl, dass es auch etwas an der Art des Unterrichtes liege. War aber einmal irgend ein Gegenstand fertig konstruirt, dann war es eine helle Freude zuzusehen, wie ihn der alte Professor mit der grössten Liebe zu schattiren begann. War es ein Haus, so wuchs gleich ringsherum ein Park in die Höhe, oder ein Blick auf die Alpen eröffnete sich – alles spielend und in kürzester Zeit aus dem Kopfe hingezeichnet. – Als die Stunden schon einige Zeit gedauert hatten, frug er den Schüler, ob er nicht einem seiner Söhne Nachhülfestunden im Latein geben wolle: Für zwei Stunden Latein solle er dann stets von

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)