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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

zu schnell herauf, dagegen liebten sie die Höhen, wo jetzt der Flunterer Kirchhof liegt, und die schönen Waldstrecken gegen den Greifensee hin ganz besonders. Wenn dort im ersten Frühjahr der Säntis im blauen Dufte herübersah und der helle See aus dem graugelben Schilfe herausleuchtete, oder wenn sie an stillen Winterabenden den Weg zurückkamen und über den kalten, verschneiten Höhen ein Stück Limmattal mit seinen schönen Linien sich öffnete und tieffarbig der Abendhimmel über all dem Weiss stand – in solchen Augenblicken sprach Gladbach wenig, doch empfand er all die Schönheit um so tiefer.

Im allgemeinen war er aber auf den Spaziergängen sehr unterhaltend und vor allem auch belehrend. Kam er irgendwie in besonders angeregtes Gespräch, so blieb er stehen und zeichnete mit seinem Stocke die Sache auf die Strasse. Dabei wurde jedes Bauernhaus erläutert, und der Tobelhof oder die Adlisberger Höfe haben ihn oft genug vor sich stehen sehen. Da konnte er anregend sein, wie es wenigen Menschen gegeben ist; mit der grössten Liebe ging er auf Alles ein und wusste es auch aufs vorzüglichste zu erklären. – Ging es dann wieder zurück, so freute er sich schon von weitem auf seinen Kaffee und seine «Peif», ohne welche er sich ein gemütliches Leben gar nicht vorstellen konnte! –

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Man mochte ihn aufsuchen, wann man wollte, stets war er in seinem kleinen Studirstübchen an der Arbeit zu finden. Eigentliche Aufträge hatte er erst gegen das Ende seines Lebens gefunden; Alles, was früher entstanden, machte er auf eigene Faust und suchte erst nachher einen Verleger oder Käufer dafür. Da er aber keine kaufmännische Ader besass, so wurde er auch nur selten in entsprechender Weise bezahlt. (Für eine der von ihm selbst auf Stahl radirten Platten seines Hauptwerkes über den «Schweizer Holzstil» erhielt er z. B. 50 Fr.)!

Gladbach war keine produzirende Künstlernatur. Seine Bedeutung lag in der mustergültigen Wiedergabe von Bauwerken, namentlich der Holzbauten der Schweiz. Hier leistete er geradezu Vorzügliches, da sich eine ungemeine Kenntnis der Holzkonstruktionen mit einem seltenen Darstellungsvermögen vereinten, und die ganze Schönheit und Schlichtheit dieser einfachen Volksarchitekturen nur von einer ähnlich schlichten und naiven Künstlerseele so liebevoll und überzeugend wiedergegeben werden konnten.

Er war geborner Federzeichner, und alle seine Reproduktionen liefen auf diese Manier hinaus. Seine ersten Werke radirte er selbst auf Stahl, später zeichnete

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)