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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898

Sohne, Ernst, ging dieser Zug vollständig ab; an Politik hat er sich nie praktisch beteiligt. Hatte er doch, wie er selbst erzählte, «eine so herzensgute Amme gehabt, dass ihm der Hang zu seiner grossen Gutmütigkeit für’s ganze Leben eingeimpft wurde»! Ein Kind ist er auch zeitlebens geblieben, aber eines jener Glückskinder, denen ein gütiges Geschick den sichern Instinkt für ihren Lebensgang mitgegeben, den sie gehen, ohne zur Seite zu sehen, und auf dem sie in ihrem engen Gebiete das Höchstmögliche leisten.

In der Familie der Mutter trat das künstlerische Element stark hervor. Ein Bruder der Mutter war Baurat Bernhard Hessemer in Darmstadt, dessen Sohn, Fritz Hessemer, sich ebenfalls der Architektur zuwandte und später Professor am Städel’schen Institut wurde. Der bedeutendste Verwandte war jedoch Baudirektor Moller, der eine Schwester der Mutter geheiratet hatte, daneben aber auch noch blutsverwandt mit der Familie Gladbach war.

Am 30. Oktober 1812 wurde Ernst Gladbach in Darmstadt geboren. Bei ihm trat die Freude an künstlerischer Tätigkeit schon sehr früh auf und äusserte sich bald mit einer Bestimmtheit, wie sie sonst dem träumerischen Knaben nicht eigen war. Der Vater wollte von Kunst nicht viel wissen, sondern den Sohn vor allem wissenschaftlich und sprachlich ausbilden lassen; dabei verfuhr er jedoch mit solcher Strenge, dass der Sohn schliesslich heimlich das Haus verliess, um sich bei seinem Onkel Wedekind einzuquartiren und von hier aus ganz seinem Herzenstriebe zu folgen. Onkel Moller nahm sich nun seiner an, und damit war seine Berufsfrage, das Studium der Architektur, entschieden.

Moller nimmt unter den Architekten Deutschlands eine ganz hervorragende Stellung ein, und es war für Gladbach ein grosses Glück, gerade in seine höchst anregende Umgebung zu kommen. In diesen Jahren erbaute Moller das Mainzer Theater, an welchem er in origineller Weise zuerst den Rundbau des Zuschauerraumes auch im Aeussern zum Ausdrucke brachte. Gladbach durfte an der Ausarbeitung der Baupläne mithelfen und wurde dafür zum ersten Male zu seiner grossen Freude bezahlt.

Moller muss es verstanden haben, seine jungen Angestellten höchst geschickt auszuwählen und vorzüglich auszubilden, denn die Namen sämtlicher jungen Leute, mit denen Gladbach zusammenarbeitete, haben im spätem Leben einen guten Klang erhalten: Fritz Hessemer, Christoph Riggenbach aus Basel, W. Mithoff aus Hannover, Ferdinand Stadler von Zürich, H. v. Rietgen u. a. m. Mit ihnen allen trat Gladbach in anregenden Verkehr, und treue Freundschaft verband sie bis zu ihrem Tode.

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Wilhelm Ludwig Lehmann: Professor Ernst Gladbach. In: Neujahrsblatt der Kunstgesellschaft in Zürich für 1898. Zürich 1898, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Neujahrsblatt_der_Kunstgesellschaft_in_Z%C3%BCrich_f%C3%BCr_1898.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)