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das bald weisen. Aber man erwecke nicht den Eindruck draußen, als wenn die Fortschritte gering wären, die Deutschland-Preußen in den letzten Monaten gemacht hat. Wir verstärken damit nur die Agitation unserer Feinde, die schon bisher ein Zerrbild deutschen Wesens in der Welt verbreitet haben und nicht zugestehen wollen, daß innerlich Deutschland viel freier war als alle diejenigen, die nur besser verstanden haben, die Außenfassade ihres Hauses zu schmücken, während ihre innere Einrichtung die Solidität nicht aufwies, die wir unser eigen nannten. Was wir jetzt brauchen, ist Stetigkeit und Ruhe im Innern. Was vermieden werden muß, ist eine Häufung von Konflikten und Krisen. Von dem Weg, der zu einer auf beiden Seiten verantwortungsvollen Zusammenarbeit zwischen Volksvertretung und Regierung führt, ist heute nicht mehr abzuweichen. Das aber ist ein Gewinn der Stunde, den wir nicht gering schätzen wollen.



Professor Dr. Ludwig Stein:

Wissen und Glaube in der Politik.

Jede geschichtliche Voraussage setzt eine gewisse Gleichförmigkeit im Ablauf von Geschehnissen voraus. Sie ist ein Analogieschluß von den Beobachtungen vergangener Ereignisreihen, welche übereinstimmende Merkmale aufweisen, auf kommende. Das Erwartungsgefühl, auf welches jede Voraussage sich letzten Endes gründet, setzt, wie ich anderwärts dartue, stillschweigend voraus, daß die bisher erfahrenen Gleichförmigkeiten in der Beobachtung einer Erlebnisreihe oder eines Tatsachenkomplexes auch für die Zukunft maßgebend seien. Die künftig eintretenden Ereignisse müssen nach dem Kausalgesetz den vorangegangenen gleichen, wenn und wofern die Bedingungen, welche den beobachteten Symptomenkomplex konstituieren, dieselben sind. Von einem Gesetz des Geschehens erwarten, ja verlangen wir, daß sich bestimmte Folgen überall und jederzeit einstellen, wenn die physikalischen Ursachen oder die logischen Gründe – Realgrund und Erkenntnisgrund – genau dieselben sind.

Diese Unbedingtheit der Voraussage des Kommenden ist nun aber der politischen oder geschichtlichen Prognose ebenso versagt wie der medizinischen oder meteorologischen. Denn die der Voraussage zu Grunde liegenden Anhaltspunkte sind nicht so sehr Tatsachen, die als solche direkt bewertet werden, als vielmehr Symptome, d. h. Tatsachen, die als subjektive Beurteilungen und Deutungen ganzer, an sich nicht erkennbarer Tatsachenkomplexe sich verwenden lassen. Von Mond- oder Sonnenfinsternissen gibt es keine

Empfohlene Zitierweise:
Gustav Stresemann: Parlamentarismus, in: Nord und Süd, Band 163, S. Schottlaender, Breslau 1917, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:NordSued_163_1917_09.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)