Seite:OAB Neuenbuerg 045.png

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Sitte, daß am Erscheinungsfest (Obersten) jeder Familienvater mit Weib und Kindern in das Wirthshaus geht. Die Kirchweihen werden immer noch in ungebundener Lustbarkeit gefeiert; z. B. in Enzklösterle wird der Kirchweihtanz 3–4 Wochen vor dem Kirchweihsonntag verdingt, d. h. die ledigen Bursche fragen zuerst bei einem Wirth an, ob er Kirchweih halten wolle; sagt er zu, so wird bei ihm die Stelle eines Kirchweihbuben (Kirbebua) versteigert, d. h. es wird von den ledigen Burschen nach einander 1/2–1 Maas Wein getrunken, wobei jeder den andern zu überbieten sucht und derjenige, welcher den letzten Einsatz macht, wird Kirchweihbube (Festordner). Er ist ausgezeichnet durch reiche Verzierung seiner Mütze. Die Zeche kann 15–20 fl. betragen. Am Kirchweihsonntag backt jede, auch die ärmste Hausfrau Kuchen. Die Festlichkeit beginnt mit einem reichen Frühstück am Sonntag Morgen, meist Kaffee, und dann Fleischgenuß zu Mittag. Kinder und Gesinde erhalten auf die Kirchweihe ohne Ausnahme neue Kleider und wenn es auch nur ein einzelnes Kleidungsstück wäre. Im Wirthshaus beginnt am Sonntag Nachmittags die Musik, der öffentliche Tanz aber Montags in der Frühe. Der Kirchweihbube hat die Musikanten, die der Wirth zechfrei halten muß, zu zahlen. Am Montag wird ununterbrochen bis in die späte Nacht hinein getanzt und wenige Mädchen sind, die sich nicht schämen würden, vom Tanz wegzubleiben. Zur Bestreitung der ganzen Kirchweihfeierlichkeit veranstaltet der Kirchweihbube mit seinen Kameraden eine Lotterie mit etwa 100 Losen à 6 kr., wobei ein Ring, Tabackspfeife etc. herausgespielt und Jedermann in Contribution gesetzt wird. Überdieß zahlen die Tänzerinnen eine Beisteuer von 12–30 kr. Gewöhnlich wird auch noch ein Hammel erkauft und herausgekegelt. Früher fielen von den Reichen namhafte Beiträge, so daß der Kirchweihbube öfters noch einen Überschuß von 10 fl. und mehr hatte. Gegenwärtig reichen die freiwilligen Beiträge kaum zu, um die Kosten zu bestreiten.

Bei Leichenbegängnissen werden von der Schuljugend vor dem Hause des Verstorbenen und während der Zug sich zum Gottesacker bewegt, wie während der Einsenkung des Sargs, geistliche Lieder unter Anführung des Schulmeisters gesungen; Leichentrunk und Leichenmahl werden allmälig seltener. Der Schulmeister hält nicht selten, namentlich verstorbenen Kindern die Leichenrede.

Die ländliche Kleidertracht weicht, namentlich in den Städten und in den der badischen Gränze nahe gelegenen Orten, in den verschiedensten Übergängen allmälig der städtischen Mode; übrigens trifft man immer noch in den eigentlichen Waldorten die solidere Tracht der Väter, indem man hier bei den Männern den breitkrämpigen

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Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Neuenbürg. Karl Aue, Stuttgart 1860, Seite 045. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAB_Neuenbuerg_045.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)