Seite:OABacknang.djvu/58

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Jahr 1869 haben von 1281 Müttern, welche geboren hatten, 1090, im Jahre 1870 von 1257 Müttern 1044 gesäugt.

Ärztliche Hilfe wird bei Kindern unter einem Jahre, die größern Orte ausgenommen, nur selten nachgesucht; bei der großen Mehrzahl der im ersten Lebensjahre Gestorbenen sind in den Leichenschauregistern die Gichter als Todesursache angeführt; und natürlich gegen die Gichter kann ja kein Arzt helfen; und doch wäre wohl noch manches Kind zu retten, wenn bei weniger fatalistischer Anschauung der Arzt veranlaßt würde, der Ursache der Gichter nachzuforschen, und dieselbe zu beseitigen.

Anschwellungen der Kropfdrüse auch ohne kretinische Beimengung sind häufig, doch weniger auf den Bergen als in den Thälern. Kretinismus findet sich in einzelnen Exemplaren überall im Bezirke herum zerstreut vor; in mehr endemischer Weise herrschte er in früheren Jahren im obern Theile des Murrthales und in einigen Seitenthälern, so in Siebersbach, Gemeindebezirks Sulzbach, in Sigelsberg, Gemeindebezirks Murrhardt, und in Fornsbach. Gegenwärtig sind kretinische Kinder eine große Seltenheit; die meisten Kretinen haben das erwachsene Alter erreicht. Die Ansiedlungen Auswärtiger an den befallenen Orten, dann Kreuzung der Racen, das Eindringen der allgemeinen Kultur in die derselben bisher verschlossenen Orte durch bessere Straßen und der dadurch erweckte Sinn für größere Reinlichkeit ist hiebei von günstiger Einwirkung.

Die Lebensweise [1] der Bezirkseinwohner ist in den meisten Orten eine einfache und mäßige. Die Nahrung besteht hauptsächlich aus Kartoffeln, Milch- und Mehlspeisen, bei der unbemittelten Klasse beinahe ausschließlich aus Kartoffeln und Brot und nur etwa Sonntags aus Fleisch. Die Vermöglicheren, namentlich die auf dem Lande wohnenden, entbehren dagegen die Fleischnahrung nicht, indem sehr viele nach althergebrachter Sitte im Winter oder im Frühjahr eine Kuh oder ein Schwein aus ihrem Stall schlachten und einsalzen. In der Oberamtsstadt ist der Fleischverbrauch ein sehr bedeutender, weil die zahlreichen Gerber mit ihren Arbeitern viel Fleisch speisen, was schon die verhältnißmäßig große Anzahl Metzger in Backnang nachweist; daselbst beginnt im Herbst der besonders stark betriebene sog. Hammelstich, welcher bis Weihnachten andauert und täglich hunderte von Schafen und Hämmeln zur Schlachtbank führt. Nach Beendigung der Weinlese kommen nämlich die Leute aus den benachbarten Weinorten des Rems- und Bottwarthals, wie auch aus der Weinsberger Gegend und kaufen sich hier ganze Trachten Hammel- und

  1. Über Lebensweise, Sitten, Gebräuche etc. der Einwohner lieferten der resignirte Apotheker Fr. Esenwein in Backnang und Pfarrer Müller in Spiegelberg sehr schätzbare Beiträge.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Backnang. H. Lindemann, Stuttgart, Stuttgart 1871, Seite 058. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABacknang.djvu/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)