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bei, wenn schon hier langsam auf die Saat die Ernte folgt. Am reichsten und sichersten erkennen wir indeß den Charakter des Bezirks durch einen Gang ins weite Gebiet der Sitten und Gebräuche, die theils aus alter Zeit stammend noch in Geltung sind, theils schon verschwunden nur in der Erinnerung noch leben, theils namentlich bei der Ungunst der Zeit nur noch als schwache Reste ein kümmerliches Dasein fristen, ein glimmender Funke, welchem Erhaltung zu wünschen ist, bis das Öl besserer Zeiten ihn vielleicht wieder zur Flamme anfachen wird. Diese Sitten und Gebräuche heften sich an die verschiedenen kirchlichen Tage des Jahres und an solche Tage des Kalenders, welche von Alters her dem Volke bedeutsam waren, sodann an den Kreislauf des menschlichen Lebens von der Wiege bis zum Grabe.


A. Sitten und Gebräuche, die sich heften an bestimmte, besonders kirchliche Tage des Jahres.

Mit Weihnachten muß hier begonnen werden, weil noch in den meisten Orten des Bezirkes dieser Tag als Anfang des neuen Jahres gilt, denn das Volk wünscht sich an Weihnachten ein gutes gesundes oder ein glückhaftes, glückhaftiges gesundes Jahr. Der wiederholte Wunsch am Anfang des Jahres lautet dann auf ein gesundes neues oder glückhaftiges neues Jahr. Am Weihnachtsmorgen wird ein Zweig der Edeltanne, pinus picca, nicht von pinus abies wie im Unterland, mit Lichtern geschmückt. In Zillhausen sammeln sich am heiligen Abend die Schulknaben auf dem Kugelberg. Beim Läuten der Abendglocke spricht der jüngste Knabe unter lautloser Stille der anderen laut ein Vaterunser, dann gehen alle, jeder mit einer Glocke läutend, einige noch dazu vermummt, ins Dorf und lassen mit Ruthen in der Hand, von welchen sie in jedem Hause eine oder zwei zurücklassen, die kleineren Kinder beten. In Erzingen ziehen die Schulkinder mit Glocken den ganzen Tag um die Kirche und läuten dem Christkindle, einer steinernen Figur aus der alten St. Georgs-Kapelle stammend, welche leider in Stücke gebrochen wurde. Sie stellt, soweit zu erkennen, einen jungen Menschen dar, an einen Stamm gebunden, wahrscheinlich ein altes nicht übles Märtyrerbild. Das Pfeffern ist allgemein Sitte und in reine Bettelei ausgeartet. Abergläubische Gebräuche werden an vielen Orten an Weihnachten geübt, in einem Ort muß der Bauer so früh als möglich Wasser holen und sein Vieh tränken, dann wird es recht schön, in einem anderen soll am h. Abend beim Betläuten die Tenne gefegt werden, dann liegen am anderen Morgen die verschiedenen Fruchtgattungen übereinander auf dem Boden, und zwar von derjenigen am meisten, welche im kommenden Jahr am besten gedeihen wird; in noch anderen Orten wird ein Bund Heu die Weihnacht über in den Garten gelegt und am Morgen jedem Stück Vieh etwas davon gefüttert, soll gut sein gegen allerlei Krankheit.

Empfohlene Zitierweise:
Julius Hartmann, Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Balingen. W. Kohlhammer, Stuttgart 1880, Seite 116. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABalingen0116.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)