Seite:OABesigheim0039.jpg

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Der Volkscharakter ist im Allgemeinen gut und spricht sich durch Rechtlichkeit, Fleiß, Sparsamkeit, Wohlthätigkeitssinn und Religiosität, welche häufig die Formen des Pietismus liebt, vortheilhaft aus; neben dem Pietismus findet neuerer Zeit auch die Sekte der Wiedertäufer, deren Gesammtzahl gegenwärtig 90 beträgt, immer mehr Anhang in Besigheim, Hessigheim, Bietigheim, Groß-Ingersheim, Hofen, Ilsfeld, Kaltenwesten, Kirchheim, Klein-Ingersheim und Löchgau. Die Charaktervorzüge des Schwaben und des Franken sind bei den Bewohnern des Bezirks günstig vereinigt, indem dieselben mit einer gewissen Biederkeit ein gefälliges, ungezwungenes Betragen verbinden, was mitunter auch in dem durch verschiedene frequente Straßenzüge vermittelten Verkehr bedingt sein mag. In dessen Folge weicht auch die ländliche Kleidertracht in den verschiedensten Übergängen immer mehr der städtischen Mode, von welcher sie sowohl in den Städten als den meisten Dörfern beinahe schon gänzlich verdrängt ist. Nur einzelne Orte, wie Metterzimmern, Gemmrigheim, Hofen etc. sind der solideren Tracht ihrer Väter noch ziemlich treu geblieben, indem man hier als Manneskleidung den Dreispitzhut, den blauen Tuchrock, rothe oder schwarze Brusttücher mit Rollknöpfen und gelbe, kurze Lederhosen noch häufig trifft. Bei dem weiblichen Geschlecht ist die moderne Tracht noch allgemeiner, wozu viel beiträgt, daß Mädchen, welche in den nahe gelegenen Hauptstädten dienen und nach Jahren modernisirt in ihre Heimath zurückkehren, von den im Ort Zurückgebliebenen nachgeahmt werden. Das anständige deutsche Häubchen wird immer seltener und den stärkern vielgefälteten Wilfling-Rock, so wie den aus eigenem Gespinnst gewobenen Barchent-Anzug verdrängen immer mehr die leichten zitzenen oder bunten Zeugleskleider. 1

Eigenthümliche Gebräuche und allgemeinere Volksbelustigungen werden immer seltener, und das früher übliche Eierlesen am Ostermontag kommt nur noch in einzelnen Orten, wie in Groß-Ingersheim, Kirchheim, Hessigheim etc., jedoch nicht jedes Jahr vor. Die auf dem Seehaus bei Lauffen während des von 3 zu 3 Jahren wiederholten Fischens abgehaltenen Tanzbelustigungen, welche einige Wochen dauerten und sowohl von Lauffen als der Nachbarschaft zahlreich besucht waren, haben seit der Trockenlegung des Sees aufgehört; das früher vielbesuchte Maienfest zu Lauffen hat schon seit 1797 nicht mehr stattgefunden. Tanz ist noch üblich an Märkten und Kirchweihen, während die Hochzeiten meist in der Stille abgehalten werden. Bei letzteren, wie auch bei Taufen ist in einigen Orten das Schießen während des Zugs in die Kirche noch in Gebrauch. Bei Leichenbegängnissen werden von der Schuljugend vor dem Hause des Verstorbenen und während der Zug sich zum

Empfohlene Zitierweise:
Karl Eduard Paulus: Beschreibung des Oberamts Besigheim. J. B. Müller’s Verlagshandlung, Stuttgart 1853, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OABesigheim0039.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)