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scheinen da und dort ziemlich Boden gewonnen zu haben. Wahre Religiosität ist keine seltene Erscheinung; neben ihr hat sich aber auch das Sektenwesen in der Oberamtsstadt sowohl als in einzelnen Amtsorten festgesetzt.

Von besondern Gebräuchen dürften folgende, die hauptsächlich in Gruibingen [1] im Gange sind, Erwähnung verdienen: die sogenannte „Einreiche" (arme Schulkinder gehen in der Adventszeit von Haus zu Haus und fordern die Einreiche, als welche ihnen in der Regel Brod oder Mehl verabreicht wird); sodann die eigenthümlichen mißtönenden Nachtmusiken, die Männern, welche sich an ihrer Ehefrau thätlich vergriffen haben, von den ledigen Burschen gebracht werden, wie sie auch im benachbarten Oberamte Kirchheim zur Ausführung kommen (vgl. Beschreibung des Oberamts Kirchheim S. 47.); endlich die Hochzeitgebräuche.

Man unterscheidet vom eigentlichen Hochzeittage einen sogenannten Heirathstag, der gewöhnlich, wenige Tage vor dem Sonntage gehalten wird, an welchem die kirchliche Proklamation der Brautleute stattfindet. Eine Magistratsperson, gewöhnlich der Schultheiß oder Rathsschreiber, leitet das Geschäft und schreibt den Heiraths-Contrakt nieder, wobei ein Glas Wein nicht fehlen darf. Mit dem Heirathstag beginnt gewissermaßen die Ehe; wenigstens findet man, sobald er vorüber, das Leben der Brautleute auf ehlichem Fuße nicht mehr anstößig. Am Sonntag vor dem Tag der Trauung wird von den betreffenden Familiengliedern des Bräutigams und der Braut bei einer kleinen Mahlzeit in dem Wirthshause, wo die Hochzeitfreuden stattfinden sollen, das hiezu Nöthige verabredet, unmittelbar zuvor aber die ganze Gemeinde zur Hochzeit geladen, und zwar durch die beiden Väter, beziehungsweise Pfleger der Brautleute, die Verheiratheten und Verwittweten, durch den Bräutigam und seine Gesellen aber alle ledige männliche Köpfe bis auf die Kinder hinab, und durch die Braut und ihre Gespielinnen ebenso die weibliche Jugend. Ist der Hochzeittag angebrochen, so werden von allen Häusern ohne Ausnahme den Brautleuten die sogenannten Morgengaben gebracht, bestehend in Mehl, Eiern, Schmalz, Butter,

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Göppingen. J. G. Cotta’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1844, Seite 039. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAG%C3%B6ppingen_039.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)
  1. Die Bewohner von Gruibingen und Ganslosen unterscheiden sich überhaupt in Gestalt, Sitten und Lebensweise von den übrigen Bezirksangehörigen.